Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
sich entfernen, dann fängt ein Fernseher zu lärmen an.
» Ich glaube, wir müssen hierbleiben«, sagt Noah.
» Ist sie noch nicht alt genug, um sich allein zu beschäftigen?«, frage ich.
» Darum mache ich mir keine Sorgen. Natürlich kann sie allein bleiben. Aber ich möchte nicht, dass sie sich dann einsam fühlt.«
Ich schäme mich etwas, so forsch dahergeredet zu haben. Aber ich käme nie auf den Gedanken, mir Sorgen zu machen, dass Jay sich vielleicht einsam fühlen könnte.
Ich folge Noah in das Fernsehzimmer, wo Claudia auf einer limettengrünen Couch lümmelt. Wie ein Kindergartenkind, das sich aus lauter Kissen sein eigenes Fort gebaut hat, sitzt sie da. Sie hat sämtliche modernen Trostspender um sich versammelt– eine TV-Video-Stereo-Fernbedienung, Nüsse und Chips, eine halb gelesene Modezeitschrift und die Fernbedienung für eine Luxusklimaanlage. In ihrem angestrengten Versuch zu verstecken, wie erbärmlich sie sich fühlt, wirkt sie herzzerreißend erbärmlich.
» Was wollt ihr?«, fragt sie in ihrem wie-immer-feindseligen Tonfall.
» Nur den heutigen Abend planen. Worauf hast du Lust? Wollen wir alle zusammen ausgehen?«
» Seh ich so aus, als würde ich ausgehen wollen?«
» Wie wär’s dann mit Pizza und Heimkino?«
» Okay.«
» Wirklich?«
» Ich hab doch gesagt, okay. Was wollt ihr denn noch von mir?«
Wenn sie meine Schwester wäre, dann würde ich darauf so was antworten wie Jetzt hör mal auf, hier die gekränkte Diva zu geben. Aber Noah scheint ganz klar ein besserer (oder zumindest: ein geduldigerer) Mensch als ich zu sein, denn er nimmt das alles ruhig und gelassen.
» Also dann, eine Pizza und einen Film für dich!«, sagt er munter. » Wir sind bald wieder zurück.«
Claudia antwortet nicht. Sie stellt nur den Fernseher noch lauter.
» Und Abgang… Schwenk nach rechts«, sagt Noah zu mir. Wir verziehen uns in die Küche zurück.
» Ist sie immer so?« Ich kann nicht anders, ich muss das fragen.
» Nicht immer. Ich glaube, sie ist gerade total sauer auf unsere Eltern. Und ich glaube, sie will dich beeindrucken.«
» Mich beeindrucken?«
» Na ja… vielleicht ist beeindrucken nicht das richtige Wort. Ich glaube, sie hat gemerkt… dass ich dich mag.«
» Und ist ihr auch aufgefallen, dass ich dich mag?«, frage ich und streiche im Näherkommen über sein T-Shirt.
» Definitiv.«
» Dann hast du eine sehr aufmerksame Schwester, muss ich schon sagen.« Wir flüstern nur noch.
» Hört auf mit dem Quatsch!«, brüllt Claudia aus dem Fernsehzimmer.
Noah und ich prusten laut los, was sie bestimmt nur noch wütender macht. Der Fernseher ist jetzt so still und stumm, als würde er auf unsere nächste Regung warten.
Wir schnappen uns die Kreditkarten und machen uns wieder in die Stadt auf.
Vor Rückgabe bitte zurückspulen!
Dann trennen sich unsere Wege. Noah besorgt die Pizza, während ich mich um die Filme kümmere. Das ist wahrscheinlich die beste Lösung, weil dafür eigentlich nur Spiff’s Videorama in Frage kommt, wo Neulinge erst mal entmutigt die Flagge streichen. Spiff ist auch der Grund, warum die meisten von uns immer noch einen Videorekorder haben– er ist ein Magnetbandfreak, so wie DJs Vinylfreaks sind. Spiff weigert sich, den Sprung von den Videos zu den DVDs oder einer anderen dieser neuen Technologien mitzumachen.
Die Videos in seinem Laden hat er nach seiner Privatlogik angeordnet. Deshalb ist » American Pie« unter » Action & Abenteuer« zu finden, während sich » Forrest Gump« im Porno-Regal mit anderen stimulierenden Klassikern tummelt. Spiff wird dir niemals und unter keinen Umständen verraten, wo der Film steht, nach dem du suchst, oder ob er überhaupt bei ihm vorhanden ist. Man muss selbst darauf stoßen oder mit leeren Händen wieder gehen. Seine Kunden– wir– sind ihm alle scheißegal, aber für die Filme würde er alles geben. Wahrscheinlich halten wir ihm genau deswegen die Treue.
Noah hat mich gebrieft, was Claudia möglicherweise mit uns anzusehen gewillt wäre. Es läuft im Grunde darauf hinaus, dass mit einem Indie-It-Girl in einer der Hauptrollen nicht viel schiefgehen kann. John Cusack wäre auch ein großes Plus. Ich mache mich zum Regal » Drama« auf, um dort nach » Teen lover« zu suchen (Spiff ist nämlich wie ich fest davon überzeugt, dass Komödien die wahren Lebensdramen beinhalten).
» Hallo, Paul.«
Es ist mein Name, der da aus der Abteilung » Fremdsprachen« herübergerufen wird. Mein Name… gerufen
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