Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
Schnappschüsse aus unserer Stadt, nächtliche Blitzlichter. Jedes zeigt ein Wort, immer nur ein einziges, aber ich kenne mich überall in unserer kleinen Stadt so gut aus, dass ich bei jedem Wort nicht nur die Botschaft lese, sondern auch weiß, woher es stammt.
Vom Schild vor dem Jewish Community Center: wish
Von einer Lotto-Werbung im Fenster der Schreibwarenhandlung: you
Von der Tafel mit der Friedhofsordnung: were
Und dann, auf dem letzten Foto– Noahs Spiegelbild in einem Spiegel, den er in seinem Atelier aufgestellt hat; eine Hand hält den Fotoapparat vors Auge, die andere ein Blatt Millimeterpapier, auf dem nur ein einziges Wort steht:
here.
Ich blicke auf die Bilder, und mir kommt es vor, als wären sie alles, was ich mir jemals gewünscht habe. Wie konnte er das ahnen?
» Glücklicher Zufall«, antwortet er. » Ich habe die ganze Nacht die Filme entwickelt. Ich hab von über hundert Wörtern Fotos gemacht, und das waren dann die, die ich wollte. Mein Gefühl hat mir das gesagt.«
» Und was sagt dein Gefühl dir jetzt?«, frage ich ihn. Mir kommt es so vor, als hätte ich mein Glück gar nicht verdient.
Eine Pause.
Dann sagt er: » Mein Gefühl sagt mir, dass ich dich jetzt fragen soll, ob du mit mir am Samstag zum Ball der Lustigen Witwe gehen willst.«
» Und– was wirst du jetzt tun?«, frage ich.
» Willst du mit mir am Samstag zum Ball der Lustigen Witwe gehen?«
» Nichts, was ich lieber täte. Die Witwe hat das in ihrem Testament zwar nicht verfügt– man braucht keinen Partner oder so, um auf ihren Ball zu gehen–, aber ich gehe liebend gerne mit dir zusammen hin.«
Dabei kann ich es nicht belassen. Ich muss ihm unbedingt noch etwas sagen. » Tut mir leid wegen allem.«
Er schaut mich an und sagt: » Ich weiß.«
» Ich hab mich so nach dir gesehnt«, sage ich und streiche ihm mit dem Finger leicht über die Wange.
Er beugt sich vor und gibt mir einen Kuss. Er sagt, dass er sich auch sehr nach mir gesehnt hat.
Ich weiß, dass alles gut so ist, wie es ist. Ich weiß, dass er nicht immer so wundervoll sein kann, aber ich weiß, dass in ihm mehr Wunder stecken als in allen anderen Menschen, die ich kenne. Ich möchte für ihn auch so ein Wunder sein.
Ich schwebe den ganzen Tag dreißig Zentimeter über dem Boden. Selbstverständlich wollen alle, die mir in der vergangenen Woche geholfen haben, wissen, wie es ausgegangen ist. Aber sie brauchen nur einen Blick auf mich zu werfen, dann sehen sie es.
» Super!« Amber freut sich.
Ted haut mir auf die Schulter. Das tut weh, aber ich weiß, er meint es nett.
Infinite Darlene sagt: » Aber setz es nicht wieder in den Sand, Schätzchen.«
Ich versichere ihr, das nicht zu tun.
Ich schwöre es ihr.
Auch Kyle weiß es sofort. Er sagt nichts zu mir, aber als wir uns auf dem Gang begegnen, nickt er mir zustimmend zu.
Nach der Schule treffe ich mich mit Noah und wir gehen zusammen ins I Scream Parlor. Er bestellt ein Blood-Red-Erbeereis und ich bestelle ein Sorbet mit Fruchtgummiwürmern. Er erzählt mir, was bei ihm los war (seine Eltern waren da und sind jetzt wieder fort), und ich erzähle ihm, was bei mir los war. Ich erzähle ihm die ganze Geschichte mit Joni und was Tony inzwischen durchgestanden hat.
» Vielleicht sollten wir mal bei ihm vorbeigehen, um ihn etwas aufzuheitern«, schlägt Noah vor.
» Willst du wirklich?«, frage ich. Tony und er kennen sich kaum.
» Ja. Wir müssen doch zusammenhalten, oder?«
» Absolut.«
Wir rufen meinen Bruder an, der sich sofort bereit erklärt, uns beide zu Tony zu fahren. (Er scheint sich auch zu freuen, dass ich mit Noah zusammen bin; ich wusste nicht, dass er tatsächlich so große Stücke auf ihn hält.)
Als wir ankommen, telefoniert Tony gerade mit Kyle. In meinem Überschwang will ich Tony beinahe zurufen, dass er Kyle doch auch noch einladen soll. Dann wird mir gerade noch rechtzeitig klar, wie unendlich unpassend das wäre (wo ich doch mit Noah hier bin), und zum Glück halte ich meine große Klappe.
Obwohl Tonys Eltern nicht zu Hause sind, bleiben wir in der Küche. Das passt gut, weil wir alle in Quassel- und Futterlaune sind. Oben in seinem Zimmer wären wir verhungert.
» Ich hab Neuigkeiten«, erzählt uns Tony. Ich finde es schön, dass er Noah begrüßt hat, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, ihn zusammen mit mir bei sich zu haben. Ich mag es, wie Noah sich in mein Leben einfügt.
» Was denn?«
» Ich will zum Ball der Lustigen Witwe
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