Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
seines Mutes würdig erweisen.
» Wir werden gut miteinander umgehen«, sage ich behutsam. » Wir werden Freunde sein. Und das meine ich wirklich ernst und aufrichtig. Nur weil ich glaube, dass wir nicht richtig zusammenpassen, heißt das noch lange nicht, dass wir ganz getrennte Wege gehen müssen. Wie klingt das für dich?«
Kyle nickt. » Okay.«
» Dann vertragen wir uns?«
» Weißt du, ich habe in den letzten Tagen viel mit Tony geredet. Wahrscheinlich hat er dir das gesagt. Als er mich das erste Mal angerufen hat, dachte ich, was ist denn jetzt los? Ich glaube, es war das erste Mal, dass er bei mir angerufen hat, also ich meine, außer wenn du bei mir warst und er mit dir reden wollte. Ich wusste erst gar nicht, was ich zu ihm sagen sollte, aber er hat das absolut verstanden. Wir haben inzwischen viel miteinander gesprochen, und das Komische ist, ich bin jetzt fast froh, dass das alles passiert ist, weil Tony und ich dadurch Freunde geworden sind, und wir beide, du und ich, sind jetzt auch gute Freunde und das ganze Chaos hat am Ende doch noch was Gutes. Es fühlt sich alles gar nicht mehr so schlimm an. Tut mir leid wegen der Sache vor ein paar Tagen. Ich komm mir deswegen total blöd vor. Ich hab mir eingebildet, da wäre etwas zwischen uns, was aber überhaupt nicht da war. Aber jetzt ist da vielleicht etwas, das wirklich da ist.«
» Ganz sicher«, antworte ich.
Ich kann ihm nicht sagen, dass dieses Etwas, von dem er geglaubt hat, es sei zwischen uns da, nicht überhaupt nicht da war. Ich kann ihm nicht sagen, dass ein Teil meiner Gefühle für ihn immer ungeklärt bleiben wird und dass ich ihn auch deshalb unbedingt weiter als Freund haben möchte, damit die Gründe, weshalb er mich damals verlassen hat, widerlegt sind. Ich kann ihm nicht sagen, dass ich ihn in diesem Augenblick viel lieber mag als vor ein paar Tagen in der Grabkapelle der toten Witwe– zwar auch jetzt nicht auf die Art und Weise, wie er es gerne von mir hätte (darauf hat Noah das Monopol), aber doch gerne genug, um zu wissen, dass zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort die Geschichte zwischen uns vielleicht eine andere Fortsetzung gefunden hätte. Aber da ich nicht vorhabe, diese Zeit oder diesen Ort so bald zu wechseln, ändert das trotzdem nichts.
Wir unterhalten uns über den Witwenball. Jetzt, da die Situation zwischen uns geklärt ist, kann Kyle auch wieder zu unseren Treffen kommen und uns beim Dekorieren der Turnhalle und der Durchführung aller anderen Pläne helfen.
Als Kyle gegangen ist, schreibe ich meinen dritten Brief an Noah zu Ende. Den vierten Brief drücke ich ihm in die Hand, als er das Schulgebäude verlässt. Den fünften Brief nehme ich mit nach Hause– ihn hebe ich mir für den nächsten Tag auf.
Fühlbarer Beweis
Am siebten Tag schenke ich ihm mich.
Ich tue das, indem ich zu ihm gehe und Hallo sage. Ich tue das, indem ich die Distanz zwischen uns aufhebe. Ich tue das, ohne zu wissen, wie er reagieren wird. Vielleicht wird das die eine Sache sein, das eine große Geschenk, das er mir erwidert.
Ich gehe am Morgen zu ihm, weil ich nicht glaube, dass ich es bis zum Nachmittag aushalten kann. Er ist noch nicht mal bei seinem Schließfach gewesen– ich warte auf der Treppe vor dem Schuleingang auf ihn. Der Morgen ist noch frisch und neu. Noah sieht mich und ich gehe zu ihm. Ich überreiche ihm meinen fünften Brief und begrüße ihn. Der Umschlag ist grün. Als er ihn hochhält, leuchtet das Grün seiner Augen noch stärker.
» Paul…«, beginnt er.
» Noah…«, beginne ich.
» Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Der Tonfall in seiner Stimme klingt eher nach Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin ganz sprachlos als nach Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil dir nämlich nicht gefallen wird, was ich dir zu sagen habe. Das ist ein gutes Zeichen.
» Du musst nichts sagen.«
Wir setzen uns nebeneinander auf die Stufen. Um uns herum strömen Schüler in die Schule.
» Danke für die Briefe. Ich habe sie gestern Abend alle noch einmal gelesen.«
Ich sehe ihn in seinem schönen Zimmer vor mir. Es macht mich glücklich, dass meine Worte dort Einlass gefunden haben, auch wenn ich selbst daraus verbannt bin.
» Ich wollte dir auch einen Brief schreiben«, sagt er. » Aber dann habe ich beschlossen, etwas anderes zu machen.«
Er zieht aus seiner Schultasche einen Umschlag heraus und reicht ihn mir. Meine Hände zittern etwas, als ich ihn öffne. Darin sind vier Fotografien.
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