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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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auf ihm landete. »Ist ja gut, jetzt bist du ja bei mir.«
    Sie machte sich los, beugte sich nach ihrer Jacke, stand auf und ging hinaus in den Flur.
    Der Abstand, den sie zwischen ihnen hinterließ, weckte wieder die alte Gereiztheit in ihm, vermischt mit Enttäuschung und Wut.
    »Ich habe heute den Termin mit Per Cramne im Ministerium«, rief er ihr unnötig laut hinterher. »Das ist ein wichtiger Tag für mich.«
    Er meinte zu hören, dass sie die Kühlschranktür öffnete und sich etwas zu trinken eingoss.
    Sie antwortete nicht.

@ Betreff: Im Schatten des Todes
Empfänger: Andrietta Ahlseti
    Emil, Emil, der Jüngste und Blondeste der Brüder Nobel, der tanzt und am meisten lacht. Wie Alfred ihn liebt.
    Emil, der gerade sein Abitur in Uppsala gemacht hat, Emil, der sich darauf freut, am Institut für Technologie seine Studien fortzuführen, Emil, der wie sein großer Bruder werden will, der wie Alfred werden will.
    In seiner Freizeit hilft er dem Bruder bei der Arbeit, ach, wie er arbeitet – und wie fleißig er ist. Er macht seine Sache so gut, dass ihm die Verantwortung für die Herstellung des Nitroglyzerins übertragen wird, das zur Anlage der Norra-Hauptlinie verwendet werden soll, die neue Eisenbahn, ein Teil der neuen Zeit.
    Es ist Samstagmorgen, der 3. September, im Jahre 1864, er steht draußen auf dem eingezäunten Gelände vor Alfreds Laboratorium und reinigt Glyzerin, gemeinsam mit C. E. Hertzman, einem Kommilitonen. Beinahe kann man in der klaren Luft ihre Stimmen hören, eine Vorahnung des Herbstes liegt in der Brise.
    Vielleicht hört Alfred die beiden. Vielleicht lauscht der große Bruder ihrem Gelächter und ihrem Gespräch vom offenen Fenster seiner Erdgeschosswohnung im Hauptgebäude aus, wo er sich mit Ingenieur Blom unterhält.
    Und dann, um halb elf, erbebt Södermalm. Grundmauern stürzen ein. Auf Kungsholmen, auf der anderen Seite der Riddarfjärden, zerspringen Fensterscheiben. Über der ganzen Hauptstadt leuchtet eine große gelbe Flamme, eine Feuersbrunst, die kurz darauf zu einer enormen Rauchsäule wird.
    Die Druckwelle erfasst Alfred am Fenster, er wird zu Boden geschleudert, im Gesicht und am Kopf verletzt. Der Zimmermann Nyman, der zufällig auf der Straße vorbeigeht, wird in Stücke gesprengt. Der dreizehnjährige Laufbursche Herman Nord und die neunzehnjährige Maria Nordqvist sterben ebenfalls. Die Leichen von Emil und seinem Kameraden Hertzman sind so übel zugerichtet, dass man anfangs nicht feststellen kann, wie viele Menschen dort ums Leben gekommen sind. Die Zerstörung rund um das Laboratorium ist monumental, fundamental. Die Zeitung
Posttidning
schreibt lakonisch: »Von der Fabrik blieb nichts weiter übrig als einige weit verstreute schwarze Trümmer. In allen nahe gelegenen Häusern und sogar in den auf der anderen Seite des Sundes befindlichen waren nicht nur alle Fenster zu Bruch gegangen, sondern gleichermaßen Rahmen und Dachgesimse.«
    Alfred selbst geht am folgenden Tag wieder an die Arbeit. Er spricht nie über das Unglück. Er erhält Hunderte Briefe, fasst sie jedoch nie an.
    Und er heiratet nie. Er hat keine Kinder. Er vermacht sein Lebenswerk jenen, die der Menschheit Frieden, Erfindungen und Literatur bringen.
    In seiner Korrespondenz beschreibt er seine große Einsamkeit, seine tief empfundene Bedeutungslosigkeit, seine verzehrende Rastlosigkeit. Nie daheim, immer unterwegs.
    @

Annika ging einen scheinbar endlosen Korridor entlang. Große Kristalllüster schwangen über ihr, die Glasstücke klirrten und klangen, obwohl es vollkommen windstill war.
    Weit entfernt, so weit, dass die Wände beinahe in einem Punkt verschmolzen, sah sie einen schwachen Lichtschein.
    Sie wusste, was das war.
    Dort war Caroline, Caroline von Behring, die tote Frau, sie wartete dort hinten auf Annika, aber Annika musste sich beeilen, sie musste rennen, es war sehr wichtig, und plötzlich kam Wind auf, schrecklicher Gegenwind, der die Kronleuchter an der Decke hin und her warf, sie jammerten und wimmerten und klingelten über ihr.
    Ich komme, versuchte Annika zu schreien, aber der Wind nahm ihre Worte mit sich und trug sie in die entgegengesetzte Richtung.
    Du musst dich beeilen, flüsterte der Wind, denn jetzt sterbe ich.
    »Nein!«, rief Annika. »Warte!«
    Und im nächsten Moment lag Caroline vor ihr, sie lag auf dem Marmorboden und sah zu Annika auf, und Annika war so erleichtert. Sie fiel neben der Frau auf die Knie und senkte den Kopf an ihren Mund, um zu lauschen, und

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