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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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erst da bemerkte Annika, dass der gesamte Brustkorb der Frau zerfetzt war. Sie sah das rhythmische Pulsieren ihres Herzens und das Blut, das bei jeder Kontraktion hervorsprudelte.
    »Nein!«, schrie sie, von Panik ergriffen, und versuchte aufzustehen, aber sie saß fest, ihre Hände waren schwer wie Blei, und es gelang ihr nicht, sie zu heben.
    Ich wollte nicht zu spät kommen, wirklich nicht.
    Aber dann sah sie, dass gar nicht Caroline von Behring vor ihr lag. Es war Sophia Grenborg, die ehemalige Kollegin ihres Mannes, und plötzlich verwandelte sich ihr Schreck in Freude.
    Jetzt stirbst du, dachte sie triumphierend, und in ihr breitete sich ein Glücksgefühl aus, das vom Magen bis in die Finger und Zehen reichte.
    Im nächsten Moment war Thomas zur Stelle, er kniete sich neben Sophia und nahm sie in die Arme. Und während das Blut aus ihrem weit offenen Brustkorb rann, begann er, die sterbende Frau zu lieben, und die sterbende Frau lachte laut.
    Sie erwachte mit einem Ruck. Das Licht im Raum war fahl und grau. In der Ecke konnte sie noch immer Sophia Grenborgs gellendes Gelächter ahnen, spröde und kalt wie Eis.
    Sie ist jetzt weg, dachte Annika. Sie wird uns nie wieder stören.
    Thomas hatte die Kinder in den Kindergarten gebracht, sie streckte sich nach ihrem Handy, das auf dem Boden lag, um nachzusehen, wie viel Uhr es war. 10.46 Uhr. Sie hatte dreieinhalb Stunden geschlafen.
    Noch unter der Dusche und beim Anziehen haftete ihr der Traum an wie ein unangenehmer Schatten. Sie ließ das Frühstück ausfallen, rief stattdessen Berit an, und sie verabredeten sich zu einem frühen Mittagessen.
    Der Schneefall war während der Morgenstunden immer dichter geworden und dämpfte alle Geräusche. Konturlos und ohne einen Laut glitt der 62er Bus an die Haltestelle. Der Fahrer beachtete sie nicht, als sie einstieg und ihre Netzkarte vorzeigte.
    Dieses unbestimmbare Unbehagen aus ihrem Traum folgte ihr durch den Mittelgang, atmete ihr in den Nacken, während sie an den schwarzen und grauen Fahrgästen vorbeiging, die sie nicht wahrnahmen.
    Ich existiere nicht, dachte sie. Ich bin unsichtbar geworden und sitze in einem Geisterbus zur Hölle.
    Zwölf Minuten später stieg sie an der Russischen Botschaft aus. Berit hatte Essensmarken mitgebracht, und Annika lieh sich schuldbewusst eine aus.
    »Du bekommst sie bald wieder …«
    Die Kollegin tat ihre Versprechungen mit einer Handbewegung ab und balancierte, die neuesten Zeitungsausgaben unter den Arm geklemmt, ihr Tablett zum Salatbüfett.
    Sie stocherten in ihrem Essen, während sie lasen und blätterten.
    Da waren die Opfer: der Preisträger, die Vorsitzende des Nobelkomitees und die drei Wachleute. Die Informationen zu Letzteren waren mager, erst in den frühen Morgenstunden hatte man ihre Namen herausgefunden, demnach waren ihre Angehörigen noch nicht befragt worden.
    »Das werden wir uns wohl heute Nachmittag vornehmen müssen«, sagte Berit und machte sich eine Notiz am Zeitungsrand.
    Der Preisträger war offensichtlich von der Intensivstation auf eine gewöhnliche Station verlegt worden.
    »Wenngleich er wohl kaum das Zimmer mit Kaputte-Hüfte-Helga teilt«, sagte Annika und blätterte weiter.
    »Der halbe Mossad passt auf ihn auf«, sagte Berit und knabberte an den Resten eines Wasa-Sport-Knäckebrots. »Die haben sich ziemlich gewunden, als sie erklären sollten, wie zum Teufel es passieren konnte, dass auf ihn geschossen wurde. Sie wussten ja, dass er haufenweise Drohungen bekommen hatte.«
    Aaron Wiesel und Charles Watson arbeiteten in der Stammzellenforschung und waren entschiedene Fürsprecher des therapeutischen Klonens. Die Entscheidung, ihnen den Nobelpreis für Medizin zu verleihen, war sehr kontrovers diskutiert worden. Sie hatten eine Welle des Protests ausgelöst, sowohl vonseiten der Katholiken als auch der radikalprotestantischen Bewegung.
    »Hast du die Diskussion verfolgt, als die Preisträger bekannt gegeben wurden?«, fragte Berit.
    »Kann ich nicht behaupten«, sagte Annika und aß ein Stück Kohlroulade. »Können sie dann ein Embryo zusammenbauen, um Stammzellen zu züchten?«
    »Ja, sie wollen für ihre Forschung Kernübertragung betreiben. Das ist eine Möglichkeit, Embryos ausschließlich zu Forschungszwecken herzustellen. In den USA versucht Bush mit allen Mitteln diese Forschung zu stoppen. In Europa widerspricht sie sowohl der EU-Konvention von 1997 und der EU-Empfehlung von letztem Jahr. Bis jetzt ist sie tatsächlich nur in England,

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