Noble House 02 - Gai-Jin
und sie riefen ihnen dasselbe Dogma in Erinnerung, das nun auch Meikin dem Mädchen Teko in Erinnerung rief, der maiko Koikos, die jetzt in Tränen aufgelöst ihrem ersten Auftreten als Kurtisane in der bevorstehenden Nacht entgegensah. »Trockne deine Tränen, Mondstrahl, akzeptiere ohne nachzudenken die traurige Kürze des Lebens, akzeptiere, was vor dir liegt, lache mit deinen Schwestern, genieße den Wein und die Lieder und deine hübschen Kleider, betrachte den Mond oder eine Blüte und laß dich mit dem Strom treiben wie ein Kürbis, der flußabwärts treibt. Und nun lauf.«
Ich werde nicht hinnehmen, daß Katsumata meine Koiko für die gute Sache verraten hat, dachte Meikin mit wehem Herzen. Es war nicht notwendig, daß er meiner Koiko diese weibliche Shishi aufdrängte! Er war baka, eine so wunderbare Quelle von Einfluß aus Yoshis Schatten dahingehen zu lassen! Aber es ist passiert. Vorbei. Nimm deinen eigenen Rat an, Meikin: Laß dich treiben. Was spielt das in Wahrheit für eine Rolle?
Ich akzeptiere, daß es eine Rolle spielt. Koiko war für uns alle wichtig, nicht zuletzt für Yoshi, der jetzt erbarmungslos gegen alle Shishi ist.
Wieder setzte sich die Mama-san vor ihren Spiegel. Das Bild erwiderte ihren starren Blick. Ihre dicker als gewöhnlich aufgetragene Schminke konnte die Schatten und die Sorgenfalten nicht verdecken.
Ich akzeptiere auch, daß ich schrecklich gealtert bin, seit der Shoya uns gestört hat, Raiko und mich – am Elften Tag des Zwölften Monats. Das ist erst dreiunddreißig Tage her. Nur dreiunddreißig Tage, und ich sehe aus wie ein altes Weib. Dreiunddreißig Tage Tränen, ein Meer von Tränen, und dabei dachte ich, ich sei über alle Tränen hinaus, hätte sie schon vor langer Zeit verbraucht, sie über Liebhaber vergossen, an die ich mich kaum erinnern kann, und einen, den ich noch immer fühlen, riechen und schmecken, nach dem ich mich noch immer sehnen kann, meinen mittellosen jungen Samurai, der ohne Vorwarnung ging, ohne ein Wort oder einen Brief, in ein anderes Teehaus, zu einer anderen Frau, und der das wenige Geld mitnahm, das ich gespart hatte. Und später dann weitere Tränen um meinen kleinen Sohn, tot beim Feuer im Haus seiner Pflegeeltern, sein reicher alter Kaufmannsvater davongewandert wie der andere, mein Selbstmord erfolglos.
Zu viele Schwimmende Jahre. Zweiunddreißig Jahre dahingetrieben, eines für jeden der quälenden Tage. Jetzt bin ich dreiundvierzig, heute vor dreiundvierzig Jahren wurde ich geboren. Was soll ich jetzt tun? Bald wird Herr Yoshi Bezahlung verlangen. Karma.
Ich akzeptiere, daß ich Koiko ausgebildet, sie angeboten, für sie garantiert habe. Was kann ich sonst noch demütig offerieren? Was kann ich tun?
Ihr Spiegelbild gab keine Antwort.
Ein Klopfen. »Herrin, Katsumata-sama ist hier, er ist früher gekommen.«
Ihr Magen fühlte sich hohl an. »Ich komme sofort.«
Um sich zu beruhigen, trank Meikin etwas von dem Gai-Jin-Brandy, den Raiko ihr gegeben hatte. Als sie sich besser fühlte, ging sie hinaus und durch den Korridor zum Empfangsraum für Gäste, dessen Hölzer, Tatamis und Shoji-Türen aus erlesensten Materialien waren. Wunderbar geschmackvoll. Erkauft und bezahlt mit so viel Mühe und Schmerzen und Liebesdienerei, doch durch Koiko war ihr Haus überaus gewinnbringend und eine Freude für ihre Bankiers. Heute hatte sie eine Verabredung mit ihnen. »Wir bemerken, tut uns leid, daß Ihre Einnahmen im Vergleich zum letzten Monat beträchtlich gesunken sind.«
»Das ist die Jahreszeit, eine schlechte Saison für alle Teehäuser, ungewöhnlich kalt. Mit dem Frühjahr wird das Geschäft besser werden. Wir haben für das Jahr schon großen Gewinn gemacht, keine Sorge.« Aber sie wußte – und wußte, daß auch die Gyokoyama dies wußten –, daß der größte Teil ihres Gewinns Koiko zu verdanken war und nun nur noch ein hauchdünner Vorhang zwischen ihr und dem Ruin hing. Wenn Yoshi sich entschied.
Warum also mein Risiko erhöhen, indem ich hier Shishi zulasse, fragte sie sich. Vor allem Katsumata – er ist jetzt der wichtigste von Yoshis Feinden. Was spielt das für eine Rolle? Das Gute ist nicht vom Schlechten zu trennen, das Schlechte muß man bewältigen und sich am Guten erfreuen. Aufregend, zu den Shishi zu gehören, ihre Tapferkeit und sonno-joi, ihr Kampf um Freiheit vom Joch der Jahrhunderte, sie opfern ihr Leben für den Kaiser, alle so jung und heldenhaft, zum Mißerfolg geboren, so traurig. Und falls sie gewinnen
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