Noble House 02 - Gai-Jin
»Guten Morgen«.
Der Reverend stand draußen vor der Tür und begrüßte einige Leute, während er andere mit finsteren Blicken maß. Als sie ihn erreichte, strahlte er und stotterte: »Oh, Miß Ange… oh, Madam, wie wunderbar, Sie zu sehen, willkommen in Holy Trinity. Werden wir Sie öfter sehen… wenn ich Ihnen irgend etwas erklären kann… Oh! Nein? Nun, ich hoffe, es hat Ihnen gefallen, ja, bitte, kommen Sie wieder, bitte, wunderbar, Sie zu sehen, Sie sind willkommen…«
»Danke, Reverend«, sagte sie, machte einen kurzen Knicks und ging hastig den Pfad zur Promenade hinunter.
Sir William wartete mit Babcott auf sie. Beide waren wie alle anderen warm verpackt gegen das windige Wetter. »Freut mich, Sie wohlauf zu sehen«, sagte Sir William herzlich, »besonders hier. Wir sind ziemlich stolz auf Holy Trinity, und Sie sind sehr willkommen, sehr, wir sind alle glücklich, daß Sie hier sind. Der Reverend war heute nicht ganz auf der Höhe, tut mir leid, gewöhnlich ist er recht gut und hat es nicht allzusehr mit Feuer und Schwefel. Hat der Gottesdienst Ihnen gefallen?«
»Er war so anders, Sir William«, sagte sie. »Für mich war es exotisch, ihn auf englisch und nicht auf lateinisch zu hören.«
»Ja, sicher. Dürfen wir Sie begleiten?«
»Bitte.« Sie schritten flott aus, tauschten scherzhafte Bemerkungen und freundliche Fragen und wichen dem Thema aus, das ihnen am meisten am Herzen lag. Das Wetter ist entsetzlich, nicht wahr? Das Fußballspiel gestern nachmittag war großartig – dürfen wir Sie nächste Woche begleiten? Haben Sie die neuesten Zeitungen gesehen oder gehört, daß die Yokohama Players eine Vorstellung von Romeo und Julia geben? Mrs. Lunkchurch hat sich freundlicherweise bereiterklärt, neben Mrs. Grimms Romeo die weibliche Hauptrolle zu spielen. »Haben Sie je auf den Brettern gestanden, haben Sie Theater gespielt, Ma’am?«
»Nur bei den Krippenspielen im Pensionat«, sagte sie. »Und nicht sehr gut… oh!«
Eine Bö hatte Sir Williams Zylinder erfaßt und ließ ihn durch die Luft wirbeln; Babcott konnte seinen gerade noch festhalten, Angélique war nicht schnell genug, und ihr Hut segelte wie viele andere auf der Promenade davon, begleitet von Flüchen, Stöhnen, Jubel und Lachen. Sie mischte sich unter die Menge und eilte hinterher, aber Babcott fing den Hut ein, ehe er zum Strand hinunterrollte. Sir Williams Zylinder wurde von Phillip Tyrer aufgehalten, der ihn schnell übergab, um dann seinem eigenen nachzulaufen.
»Mein bester Hut«, sagte Sir William säuerlich und bürstete den Schmutz ab, der verdächtig nach Jauche aussah. Angéliques Hut hatte keinen Schaden genommen; lächelnd setzte sie ihn wieder auf und befestigte ihn mit der Hutnadel. »Danke, George, ich dachte schon, er würde ein Bad nehmen.«
»Ich auch. Dürfen wir Sie zum Lunch einladen?«
»Danke, aber ich möchte heute nicht ausgehen.«
Bald hatten sie das Tor von Struan’s erreicht. Beide Männer küßten Angélique die Hand, und sie verschwand im Haus.
»Entzückende Dame«, meinte Sir William.
»Ja.« Babcott blickte mit gerunzelter Stirn aufs Meer hinaus.
Sir William folgte seinem intensiven Blick. In der Bucht konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. »Was ist los?«
»Ihre Periode hat begonnen.«
»Allmächtiger, haben Sie sie untersucht? Oder Hoag? Warum zum Teufel haben Sie mir nichts gesagt?«
»Wir haben sie nicht untersucht. Ich weiß es einfach, das ist alles.«
»Hä? Wie haben Sie…« Er hielt inne, als MacStruan und Dimitri vorbeigingen. »Morgen, guten Morgen«, sagte er ungeduldig. Dann nahm er Babcott beim Arm und ging mit ihm die Straße entlang in Richtung Gesandtschaft. »Woher wissen Sie das?«
»Mein Gott, ich bin Arzt. Ich habe sie gestern gesehen, und als ich sie heute ohne Schleier sah, sprang es mir ins Auge. Ihr Gesicht war ein bißchen aufgedunsen, und als sie ihrem Hut nachlief, bemerkte ich ihren gehemmten Gang.«
»Verdammt, ich habe nichts bemerkt! Allmächtiger Gott! Sind Sie sicher?«
»Nein, aber ich würde hundert Guineas gegen einen Furz wetten.«
Sir William zog die Stirn in Falten. »Würde Hoag es auch bei bloßem Anschauen merken?«
»Kann ich nicht sagen.«
»In dem Fall informieren Sie ihn nicht.«
»Warum denn das?«
»Es wäre am besten, wenn es unter uns beiden bliebe.« Dann fügte Sir William freundlich hinzu: »Lassen wir Angélique ihre Karten so ausspielen, wie sie möchte. Es ist ihr Spiel, ihres und das von Tess Struan, nicht
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