Noble House 02 - Gai-Jin
werden, weil sie meinem Beispiel nicht gefolgt sind.
Gerade hatte sie ihren Keller inspiziert. Stufen führten zu der eisenbeschlagenen Tür hinunter. Das Innere war unversehrt. Alle Wertsachen waren in Sicherheit, alle Verträge, Urkunden, Kreditbriefe, Anleihen an die Gyokoyama und Bankbestätigungen, Schuldscheine, das beste Leinen und die feinsten Kimonos – sowohl ihre als auch die ihrer Damen waren in den Hüllen so gut wie neu. Von Anfang an hatte sie darauf bestanden, daß alle teuren Stoffe und Kleider, die an dem betreffenden Abend nicht getragen und benutzt wurden, unterirdisch gelagert wurden, und fast immer hatten die anderen über die zusätzliche Arbeit gemurrt. Morgen früh werden sie mir danken, dachte sie befriedigt.
Zu ihrer ungeheuren Erleichterung war der Verbleib all ihrer Damen, ihrer Dienerschaft und ihrer Kunden geklärt, ausgenommen Fujiko, Hinodeh, Teko, Furansu-san, Taira sowie zwei Diener und zwei Dienerinnen. Aber das machte ihr keine Sorgen. Bestimmt waren sie anderswo in Sicherheit. Ein Diener hatte einen oder vielleicht auch zwei Gai-Jin unverletzt zum Tor laufen sehen.
Namu Amida Butsu, betete sie, laß sie alle sicher sein, und segne mich für meine Weisheit, die dafür gesorgt hat, daß meine Leute ihre Feuerübungen gut geprobt haben.
Der Schrecken der Feuersbrunst in der Yoshiwara von Edo vor zwölf Jahren hatte ihr diese Lektion erteilt. Das Feuer hatte sie und ihren Kunden, einen reichen Reishändler der Gyokoyama, beinahe getötet. Sie hatte ihn gerettet, indem sie ihn aus seiner trunkenen Starre weckte und unter Lebensgefahr ins Freie zerrte. Als sie durch die Gärten flohen, hatten sie sich plötzlich von Feuer eingekreist und in der Falle wiedergefunden, aber sie hatten sich vor dem Tod gerettet, indem sie in wilder Hast mit Hilfe des Dolches in ihrem Obi in der weichen Erde einen Graben aushoben. So war das Feuer über sie hin weggegangen. Dennoch hatte sie am unteren Rücken und an den Beinen schwere Verbrennungen erlitten, die ihrer Karriere als Kurtisane ein Ende setzten.
Aber ihr Kunde hatte sie nicht vergessen, und als sie sich soweit erholt hatte, daß sie wieder gehen konnte, hatte er mit den Gyokoyama gesprochen, die ihr die Mittel liehen, eine eigene Herberge zu eröffnen. In dem Feuer damals waren über hundert Kurtisanen, sechzehn Mama-sans, zahllose Kunden und Zofen umgekommen. Bei dem Feuer in Kyōtos Shimibara hatte es noch mehr Tote gegeben. Bei anderen Feuern waren im Laufe der Jahrhunderte Tausende ums Leben gekommen. Das Große Feuer der Schleppenden Ärmel einige Jahre nach dem Bau der ersten Yoshiwara durch Mama-san Gyoko hatte Edo hunderttausend Menschenleben gekostet. Binnen zwei Jahren wurde die Yoshiwara wieder aufgebaut und blühte und gedieh, doch dann brannte sie wieder ab und wurde erneut aufgebaut. Und jetzt, schwor sich Raiko, werden wir unsere Yoshiwara ebenfalls besser denn je wieder aufbauen!
»Die Sechzehn Orchideen liegen wohl in dieser Richtung, Herrin, neh?« Der Diener zögerte, blickte sich unsicher um. Nichts als Qualm und Glut und Asche, ein paar Hausstützen, keine Pfade oder markante Steine, um sich daran zu orientieren. Dann blies ein Windstoß Asche weg und legte Grundsteine und einen steinernen Drachen frei, der in der Hitze geborsten war. Raiko erkannte ihn und wußte, wo sie waren: bei Hinodehs kleinem Haus.
»Wir müssen ein Stückchen zurück«, sagte sie, doch dann erregte ein Glitzern ihre Aufmerksamkeit. »Warte. Was ist das?«
»Wo, Herrin?«
Sie wartete. Wieder fachte der Wind Glutreste an, und wieder das Glitzern, ein wenig rechts von ihnen. »Da!«
»Ah, ja.« Vorsichtig räumte der Diener mit einem angekohlten Zweig einen Weg frei, trat vor, hob die Lampe und betrachtete eine Stelle am Boden. Ein weiterer vorsichtiger Schritt, doch dann, als ein Windstoß ihn mit Funken übersprühte, zog er sich hastig zurück.
»Komm zurück, wir werden morgen nachschauen.«
»Einen Augenblick, Herrin.« Rasch fegte er weitere Asche weg und schnappte dann nach Luft. Die zwei verkohlten Gestalten lagen nebeneinander, die linke Hand der einen in der rechten Hand der anderen. Das Glänzen kam von einem goldenen Siegelring, der sich verzogen hatte und teilweise geschmolzen war. »Herrin!«
Stocksteif stand Raiko neben ihm. Furansu-san und Hinodeh, durchfuhr es sie sofort. Das müssen sie sein. Er trug immer einen Siegelring.
Und ebenso schnell hob sich ihre Stimmung beim Anblick der verschränkten Hände. Sie waren ein
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