Noble House 02 - Gai-Jin
dieses armselige Angebot gemacht. Trotzdem müssen wir vorsichtig sein; wie wir uns unter vier Augen verhalten, ist etwas anderes, aber sechs Monate lang – so lange werde ich brauchen, um dich mit makellosem Ruf nach Shanghai zu holen und Rothwell-Gornt einzurichten – müssen wir so tun, als seien wir nur gute Freunde. Ich bete dich an.«
Statt einer Antwort umfaßten ihre Arme ihn fester. Dann fragte sie: »Ist es bei euch üblich, einen Ehevertrag abzuschließen?«
»Nein. Aber wenn du es möchtest, werden wir es tun.« Er sah das Lächeln, das verbarg und versprach und wieder verbarg. »Es ist nicht nötig, nicht wahr? Wir hängen voneinander ab, haben eine gemeinsame Zukunft und sind jetzt schon eins. Der Erfolg hängt von unserer gemeinsamen Leistung und dem ab, was ich für uns erreichen kann. Vergiß nie, daß Tess geschickt und gerissen ist und sich nicht betrügen läßt, ein Handel mit ihr ist ein Handel. Trotzdem verspreche ich dir, daß du bekommen wirst, was du willst.«
Ja, das werde ich, dachte sie.
Schockiert legte Sir William die letzten Seiten von Andrés Papieren zurück auf den Beistelltisch. »Mein Gott«, murmelte er und stand auf. Plötzlich fühlte er sich sehr alt. Er schenkte sich einen Drink ein und starrte ungläubig auf den Stapel Papier. Dann setzte er sich wieder hin und blätterte ihn erneut durch. Der letzte Teil des Briefes von Angéliques Vater, sorgfältig zusammengeklebt, enthielt den klaren Vorschlag, Malcolm Struan in die Falle zu locken; andere Seiten hielten Daten und Einzelheiten über die Vergewaltigung durch den Ronin-Mörder in Kanagawa und den eigenartigen Tod in der französischen Gesandtschaft fest, den Namen der Mama-san, die die Medizin besorgt hatte, die Art und Weise, wie sie mit den ›verlorenen Ohrringen‹ bezahlt worden war, und wie André aufs Meer hinausgerudert war, um die Beweise zu beseitigen; eine der beiden Flaschen hatte er jedoch als Beweismittel behalten, und diese befand sich jetzt in Sir Williams Schreibtischschublade.
Den Papieren lag ein Begleitbrief bei.
Sir William, wenn Sie dies lesen, bin ich bereits tot. Dieser Beweis ist zu benutzen, wenn ich gewaltsam zu Tode gekommen bin. Ich gestehe offen, daß ich mein Wissen benutzt habe, um Angélique Geld abzunehmen – ja, Erpressung ist wohl das richtige Wort dafür, aber Erpressung ist schließlich ein diplomatisches Werkzeug, das Sie genau wie wir sicher auch schon benutzt haben. Die Information erhalten Sie, weil ich vielleicht ermordet worden bin oder man meinem Tod den Anschein eines Unfalls gegeben hat – nicht unbedingt Angélique selbst, aber doch ihretwegen und mit ihrer Unterstützung; eine weitere Wahrheit ist, daß etliche Leute für sie einen Mord begehen würden (Babcott, McFay, Gornt) und daß mein einzigartiges Wissen und meine Teilnahme an ihren – ›Verbrechen‹ ist ein zu starkes Wort – Manipulationen mich zur Zielscheibe machen.
Diese Seiten geben Ihnen die Beweise, um den Mörder zu fangen. Ich unterstelle Angélique keinen bösen Willen, ich habe sie benutzt, obwohl ich nie mit ihr geschlafen habe. Falls mein Tod als Unfall erscheint, ist er es möglicherweise nicht gewesen. Falls doch, dann möge es so sein. Ich habe meine Beichte abgelegt (wenn ich auch Pater Leo nichts von dem Obigen gesagt habe) und gehe Ihnen voran das große Abenteuer ein – so unrein wie die meisten, ja, mehr als die meisten.
Gott stehe mir bei.
Warum habe ich das hier Ihnen und nicht Henri gegeben? Ja, warum?
Darunter stand eine kühne Unterschrift.
»Ja, warum mir?« murmelte Sir William. Und wie ist es möglich, daß diese raffinierte Kleine all das so lange verbergen kann, um Gottes willen, daß sie es sogar vor Malcolm Struan geheimhalten konnte? Und vor George und Hoag? Unmöglich, André muß den Verstand verloren haben, und doch…
Abgesehen vom Brief ihres Vaters – und selbst der könnte, aus dem Zusammenhang gerissen, eine Übertreibung der Wahrheit sein – ist alles andere nur Andrés Meinung, es sei denn, sie würde herausgefordert und gestünde. Diese Geschichten könnten Machenschaften eines verwirrten Geistes sein. Natürlich hat er sie auch begehrt, wie oft haben wir alle bemerkt, daß er sie verlangend ansah, und da war dieser merkwürdige Vorfall, als Vervene ihn in ihrem Zimmer fand. Und verdammt seltsam, daß er das Wort ›unrein‹ benutzte, wo in Wirklichkeit es doch er war, der arme Kerl.
Seratard hatte ihm Andrés Geheimnis verraten. Die Syphilis kam in
Weitere Kostenlose Bücher