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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Direktor die nötige Ausrüstung aufgebaut hatte.
    „Was haben Sie vor?“ fragte der Grieche schließlich.
    „Ich ermögliche Ihnen einen halbminütigen Einblick in Paul Kaufmann. Es handelt sich hierbei um eine Standardprobe. Wenn sie eingeschaltet ist, läuft sie unweigerlich die nächsten dreißig Sekunden, ganz gleich, wie Sie reagieren. Danach werden wir wissen, ob Sie ihn wirklich für immer bekommen wollen.“
    „Damit können Sie mir keine Angst machen.“
    „Das habe ich auch gar nicht vor. Ich möchte Sie lediglich auf die Risiken aufmerksam machen.“
    „Fangen Sie endlich an“, sagte Roditis.
    Ihm wurden Elektroden angelegt. Durch sichtbehinderte Augen beobachtete er die letzten Vorbereitungen.
    „Jetzt“, sagte Santoliquido.
    Roditis verkrampfte sich und zuckte unter dem ersten Stoß der Vereinigung mit Paul Kaufmanns Bewußtsein zusammen. Es kam ihm vor, als wäre er in einen kochenden Schwefelsee gesprungen und fiele jetzt endlos bis auf den Grund. Der See umschloß ihn, und er rang nach Atem. Aber er ertrank nicht. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder an die Oberfläche, fand einen festen Grund zum Stehen und lernte, sich in diesem Medium zu bewegen.
    Unglaublich!
    Solche Kraft, solche Vitalität und Intensität, wie der alte Mann sie besaß. Roditis machte Erinnerungsstränge aus. Keine verknoteten und zerfetzten Stricke, sondern feste Erinnerungstaue, die sich über den Abgrund der Jahre erstreckten. Roditis erkannte einen ausgezeichneten Verstand, wenn er auf einen traf. Hatte der alte Kaufmann niemals etwas vergessen? War er niemals gestrauchelt? Roditis blickte begeistert auf die geordneten Archivreihen, auf eine sinnvolle und fehlerlos angelegte Erinnerungsbank. Kaufmann konnte kein Mensch gewesen sein, sondern eine Art Computer. Aber nein, er hatte auch ausreichend Menschliches an sich: Lust, Wut, Habsucht, Triumph, alle Arten von Leidenschaft, pochende Emotionssaiten, die in leuchtenden Primärfarben über den purpurfarbenen Hintergrund dieses kraftvollen Verstandes peitschten. Hin und her suchte Roditis, untersuchte alles, gelangte ohne Behinderung in die gefrorenen Schluchten dieses ehrfurchtgebietenden Bewußtseins, bewunderte die Stalaktiten und Stalagmiten der Begierde, die glitzernden Kristalle der Erfolge, das strickartige Material der Reife. Kaufmann war mit siebzig ein Phänomen gewesen, aber dazu war er nicht über Nacht geworden. Auf seiner Reise in die Vergangenheit entdeckte Roditis die Einzigartigkeit dieses Mannes, sah seine unbeugsame Kraft im Alter von vierzig, von zwanzig, von zehn. Wie konnte es einen solchen Menschen geben, eine solche Einheit von Feuer und Wasser? Kaum hatte er dieses Reich der Wunder einmal betreten, konnte Roditis es nicht mehr verlassen. Er vernahm den Klang einer entfernten Musik: voller Resonanz, dunkel, eine chromatische Sinfonie der gewaltigen Macht. Er sah turmhohe gotische Bögen, die bis in die Unendlichkeit ragten. In seiner Nase steckte der Duft von Grandeur. Roditis stellte seine Füße fest auf eine breite Ebene unter einem schwarzen Himmel. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte den Himmeln ein frohes Lachen entgegen.
    Die Bilder verschwanden. Roditis saß in einem kleinen Raum. Elektroden steckten auf seiner Stirn. Santoliquido beobachtete ihn voller Interesse.
    „Geben Sie ihn mir“, sagte der Grieche unmittelbar darauf.
    „Die Risiken …“
    „Es gibt keine Risiken. Ich komme mit ihm klar. Er gehört zu mir! Ich muß ihn haben!“
    „Sie zittern am ganzen Leib“, bemerkte Santoliquido.
    Roditis entdeckte, daß dem so war. Er starrte auf seine zitternden Finger und wackelnden Knie. Je angestrengter er versuchte, die Kontrolle über seine Glieder wiederzuerlangen, desto stärker wurde das Zittern. Er sagte: „Das ist nur die Reaktion auf meine Erregung. Ich will gar nicht behaupten, es sei ein Klacks gewesen, in diesem Verstand herumzustöbern. Aber mir geht es gut, und ich bin stark. Ich habe das Recht, diese Transplantation zu erhalten.“
    „Was sagen Ihre gegenwärtigen Fremdbewußtseine denn dazu?“
    Roditis fiel auf, daß er den Kontakt zu Kozak und Walsh verloren hatte. Er mußte auf gut Glück in den tiefsten Ecken seines Verstandes suchen, bevor er die beiden nach einigen Augenblicken wiederfand. Walsh schien wie gelähmt. Kozak schwieg, hatte sich in sich zurückgezogen, war verletzt. Als Roditis sich ihnen näherte, regten sie sich dankbar wieder, so als würde man ihnen nach einem Bad im eiskalten

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