Noch einmal leben
praktisch nichts mehr unternehmen können, um den Patienten zu retten. Je mehr sie herumwirbeln, desto schneller verläuft der Selbstzerstörungsprozeß. Gewöhnlich tritt der Tod in weniger als einer Stunde ein.“
„Carniphage ist schneller“, bemerkte Noyes.
„Aber Carniphage ist zu offensichtlich. Wenn einer sich innerhalb einer Viertelstunde in einen Schleimhaufen verwandelt, weiß jeder sofort, daß hier Carniphage zur Anwendung gekommen ist. Aber bei Zyklophosphamid-8 bleibt die Todesursache zweifelhaft. Man kann die Verabreichung dieses Gifts nicht beweisen.“
„Und wie wird es verabreicht?“
„Nach der guten alten Borgia-Methode. Du mußt das Kästchen in der Handfläche verstecken, ungefähr so. Dann gibst du dem Opfer ein Glas Wasser, halst die Hand kurz drüber und preßt die Handfläche fest zusammen. Dadurch öffnet sich das Kästchen, und die Kapsel fällt ins Glas. In einer Mikrosekunde hat sich das Gift aufgelöst. Die türkisfarbene Färbung verschwindet unmittelbar beim Kontakt mit einer anderen Flüssigkeit. Es ist geschmack- und geruchlos. So einfach läuft das.“ Roditis verschloß das zitronengelbe Kästchen wieder. Bedeutsam händigte er es an Noyes aus. „Steig ins nächste Flugzeug nach New York und finde St. John. Glaube mir, Charlie-Junge, ich habe deine Hilfe nötig wie noch nie.“
Noch immer nicht ganz zu sich gekommen fand Noyes sich kurze Zeit später hoch über Indiana wieder. Ein Sekretär von Roditis hatte den Flug für Charles in Richtung Osten gebucht. Er selbst war im Moment unfähig, so etwas zu erledigen. In der linken Brusttasche trug er das Giftkästchen. Und in der rechten ruhte, wie immer, die Ampulle mit dem Carniphage, mit der Charles sein eigenes verpfuschtes Leben beenden wollte, sobald er den Mut dazu aufbringen konnte.
Das würde sicher großartig, sagte sich Charles in Gedanken.
Er wollte nicht länger Roditis’ Laufbursche sein. Er war es müde, ständig in der Weltgeschichte herumzureisen und sich für die Ambitionen des kleinen Gernegroßes aufzureiben. Jetzt sollte er sogar einen Mord begehen. Eigentlich hatte der Grieche ja mit recht gescheiten Phrasen versucht, Charles davon zu überzeugen, daß er keinen Mord im herkömmlichen Sinn beging, wenn er das Zyklo-phosphamid-8 in Martin St. Johns Wasserglas fallen ließ. Roditis’ Worte hatten so einschmeichelnd geklungen, daß Noyes fast darauf reingefallen wäre. Aber nur fast. Die Polizei würde ihn hart in die Mangel nehmen, wenn sie ihn zu fassen bekäme, noch bevor Roditis den Mord in seinem Gedächtnis löschen lassen konnte. Man würde Noyes des vorsätzlichen Mordes anklagen, und nach dem Gesetz gab es kein schlimmeres Verbrechen. Charles Noyes würde ausgemerzt. Möglicherweise war dieser Verlust für das Universum und für ihn selbst auch gar nicht so groß. Dennoch war es eine Erniedrigung. Ein Mann sollte sich selbst aus dem Weg räumen können, statt diese Arbeit anderen zu überlassen.
Am besten schlucke ich das Carniphage jetzt sofort, dachte er. Das gibt zwar eine üble Bescherung im Flugzeug, und die Stewardessen werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber zumindest habe ich einen ehrenvollen Abgang.
Seine Hand schob sich zur rechten Brusttasche hoch.
- Na los doch, drängte Kravchenko. Warum tust du es nicht und bringst alles hinter dich? Ich habe es so satt, in deinem erbärmlichen Schädel festzusitzen, Noyes, satter als du es dir vorstellen kannst!
Die Hand hielt kurz vor dem Ziel inne.
Eine Art puritanisches Pflichtgefühl übermannte Charles. Wenn er sich jetzt selbst umbrachte, wäre das feige. Er hätte sich damit aus Roditis’ Auftrag davongestohlen. Und dazu hatte er kein Recht. Der Grieche vertraute ihm. Der Grieche verließ sich auf ihn. Roditis hatte ihm vor Jahren einen Arbeitsplatz und eine Stellung im Leben gegeben. Sicher, der Grieche nutzte andere aus, war ein Tyrann, war selbstsüchtig und so weiter. Sicher hatte Roditis ihn von einem Kompromiß mit sich selbst in den nächsten getrieben, bis Charles schließlich so heruntergekommen war, daß er zum Nutzen dieses Mannes Parties vermasselte und mit unmöglichen Frauen bumste, um an irgendwelche Informationen zu kommen. Aber so lauteten halt seine Arbeitsbedingungen, und er hatte sie damals akzeptiert.
Jetzt konnte er sie nicht aus heiterem Himmel abstreifen. Er schuldete es Roditis, diesen letzten Auftrag auszuführen, diesen unsinnigen Mord, bei dem ein bereits toter Körper, der vom Geist
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