Noch einmal leben
nachfragen, ob sie es wagen darf, mich zu verhaften, ob der Staatsanwalt gegen mich Klage erhebt und ob mein Geist untersucht werden darf. Mir bleiben mindestens noch vierundzwanzig Stunden.“
Paul gab keine Antwort. Trotz seiner Kopfschmerzen versuchte Mark, den Ablauf der Ereignisse zu rekapitulieren.
Dienstagnachmittag war Donahy bei ihm gewesen. Am gleichen Tag hatte auch Santoliquido angerufen und von seinem Vorhaben erzählt, Onkel Paul in den vakanten St.-John-Körper zu verpflanzen. Am Mittwoch hatte Mark sich den Engländer angesehen und war danach nach San Francisco geflogen. Ebenfalls am Mittwoch hatte Donahy eine ein Jahr alte Aufzeichnung von Paul Kaufmanns Bewußtsein aus dem Archiv entwendet. Mittwochnacht hatte der Techniker Mark in San Francisco Onkel Paul eingepflanzt. Mark war den ganzen Donnerstag im Kloster geblieben, hatte sich ausgeruht und versucht, sich mit dem machtvollen neuen Bewußtsein einzuleben. Ebenfalls am Donnerstag war in New York die jüngste Aufzeichnung von Paul Kaufmanns Bewußtsein in den St.-John-Körper eingesetzt worden. Man hatte ihn dann zum Kräftesammeln in Marks Wohnung gebracht. Und irgendwann spät in der Nacht war St. John ermordet worden.
Jetzt war es Freitagnachmittag, und Mark, wieder aus San Francisco zurück, steckte unvermittelt in großen Schwierigkeiten.
Paul und er hatten sich bemerkenswert gut aufeinander eingestellt. Es hatte weder Kämpfe noch Meinungsverschiedenheiten noch andere Unannehmlichkeiten gegeben, wie man sie hätte erwarten können, wenn der starke Wille des Onkels auf den starken Willen des Neffen stieß. Paul hatte sich sehr darüber gefreut, wiedergeboren zu werden, und war von der krummen Methode fasziniert, mit der Mark an ihn gelangt war. Erst recht begeisterte er sich darüber, daß eine zweite, spätere Fassung von ihm ein Dybbuk werden sollte. Es war ihm auch egal, daß der Passus in seinem Testament, kein Mitglied der Familie dürfe ihn beantragen, nicht befolgt worden war. Wahrscheinlich war dieser Zusatz erst nach der vorletzten Bewußtseinsaufzeichnung gemacht worden. Paul sah Roditis als den größten Feind der Kaufmanns und war deshalb nur zu bereit, seinen Neffen in jeder Weise zu unterstützen. Gleichzeitig wollte er Mark helfen, den Dybbuk-Paul, den Santoliquido erschaffen hatte, zu isolieren und matt zu setzen. Natürlich war Mark darauf gefaßt, früher oder später mit seinem Onkel Streit zu bekommen oder sich sogar gegen einen raffinierten Versuch Pauls wehren zu müssen, selbst zum Dybbuk zu werden. Aber zumindest im Augenblick kamen die beiden gut miteinander aus. Mark schätzte sich glücklich, den verschlagenen, unbezwingbaren alten Teufel endlich sicher in seinem Kopf zu wissen.
Und gerade in diesem Moment mußte er nach Hause fliegen und in diesen Schlamassel …
Nun denn, einige Schritte lagen offen auf der Hand. Am wichtigsten war dabei wohl die Überprüfung des Türschirms, um festzustellen, wer letzte Nacht die Wohnung betreten hatte. In dieser Hinsicht hatte Mark einige ganz konkrete Vorstellungen. Es gab nicht viele Personen, die seine Wohnung uneingeladen – wenn auch nur zeitweise – betreten durften. Die einzige, die immer hereinkam, war Risa, die sich allerdings noch immer in Europa aufhielt.
Der Türschirmausdruck gab ihm rasch Antwort.
Elena war hier gewesen. Sie hatte kurz vor dreiundzwanzig Uhr um Einlaß gebeten, was ihr von den Robots auch nicht verwehrt worden war. Mark sah sie auf dem Ausdruck. Ihre Miene ließ aber in keiner Weise darauf schließen, daß sie mit Mordabsichten gekommen war.
Aber wer war denn da mit ihr gekommen? Dieser große, blonde Bursche mit dem angespannten, unruhigen Blick in den Augen?
Noyes? Charles Noyes?
Noyes von der Roditis-Versicherungsgesellschaft?
Elena hatte den mitgebracht?
- Da hast du deinen Mörder, sagte Paul. Es kann kein anderer gewesen sein.
„Nun mal nicht so hastig“, murmelte Paul. „Noyes ist Roditis’ Vertrauter. Das ist allgemein bekannt. Aber so etwas Dummes macht der Grieche nicht. Wenn er St. John umbringen wollte, hätte er nicht Noyes hierher geschickt. Das wäre doch viel zu durchsichtig.“
- Was weißt du denn schon von Noyes? Ich erinnere mich, daß er eine sehr instabile Persönlichkeit ist.
„Ja, das stimmt.“
- Vielleicht hat Roditis aus gutem Grund einen Stümper für diesen Job gewollt. Sieh dir die Aufzeichnungen genauer an.
Mark ließ sich neue Ausdrucke geben. Die Gestalten von Elena und Noyes waren zehn
Weitere Kostenlose Bücher