Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
durchbohrend an. Die schlaffen Muskeln seines neuen Gesichts verzerrten sich bei den Anstrengungen, aufzustehen und den Störenfried hinauszuwerfen. Aber das gelang ihm natürlich nicht.
    „Wenn Sie nicht sofort machen, daß Sie hier rauskommen …“
    „Können wir denn nicht friedlich miteinander reden?“ fragte Noyes. Seine langen Finger umschlossen das Kästchen mit der Zyklophosphamid-8-Kapsel. „Hier, trinken Sie einen Schluck Wasser. Lassen Sie mich von dem Vorschlag erzählen, den Roditis Ihnen zu machen hat. Für Sie könnte dabei ein großer Profit herausspringen.“
    Er nahm das Glas in die linke Hand, füllte es zur Hälfte mit Wasser und schob die Hand mit dem verschlossenen Kästchen langsam darüber. Aber es wollte nicht klappen. Diese merkwürdigen wasserblauen Augen ruckten pausenlos umher und erfaßten alles. Noyes merkte, daß ihm der Borgia-Trick nicht gelingen würde. Kaufmann/St. John würde sofort begreifen, was da vor sich ging und gegen Noyes ankämpfen; sicher recht unbeholfen, das würde ausreichen, das Glas mit dem unersetzlichen Gift umzustoßen oder zumindest die Robotdiener ins Zimmer zu rufen.
    Noyes mußte also direkter vorgehen.
    Er beugte sich über den alten Mann im Bett. Mit leiser Stimme sagte er: „Mit einer neuen Widergeburt sind Sie sicher besser dran.“
    „Sie wagen es …“
    Als der Mund sich öffnete, schnellte Noyes’ Hand vor, drückte auf das zitronengelbe Kästchen und ließ die todbringende Kapsel in den Rachen des Opfers fallen. Zur gleichen Zeit drückte er mit zwei gespreizten Fingern auf den Adamsapfel des Mannes. St. John/Kaufmann schluckte, und die Giftkapsel glitt hinab.
    Die blauen Augen schienen Noyes vor Wut durchbohren zu wollen.
    Kaufmann/St. John schlug mit schwachen Armen auf Noyes ein. Die Hände schlenkerten unkontrolliert, als wollten sie ihren Handgelenken entfliehen. Aber das Gesicht bot ein einzigartiges Schauspiel verzerrter Wut. Die ganze Vielfältigkeit Paul Kaufmanns versammelte sich in dieser Miene und stieß ein Crescendo aus frustriertem Ärger und unverhohlener Feindseligkeit aus. Unter der Gesichtshaut ballten sich zuckend die Muskeln. Dieser Haßausbruch ließ Noyes zurückschnellen. Es war, als habe er sich am Feuer dieses unglaublichen alten Mannes verbrannt.
    Aber nach einer Minute begann der Körper mit seiner eigenen Zerstörung.
    Noyes konnte nur den Anfang des Prozesses beobachten. Während er sich rückwärts vom Bett entfernte, bemerkte er, wie das Feuer in dem alten Mann erlosch, sah, wie es durch Verblüffung und nackte Angst ersetzt wurde. Unerklärliche Ereignisse im Innern des Körpers begannen sich abzuzeichnen. Die Schleusentore der Hormondrüsen hatten sich alle gleichzeitig geöffnet und sonderten die unmöglichsten Sekrete ab, die sich mischten und heftig miteinander reagierten. Die Synchronisation von Herz und Lunge setze aus. Das Gehirn weigerte sich, die Nachrichten seiner sensorischen Rezeptoren wahrzunehmen. Jeden Augenblick schritt die Selbstzerstörung in Martin St. Johns Körper weiter fort.
    Noyes floh.
    Elena bekam ihn draußen in der Diele zu fassen. „Wo willst du hin? Was ist geschehen?“
    „Ruf einen Doktor“, brach es aus Noyes heraus. „Er ist krank – ein Schlaganfall, ach, ich weiß es auch nicht …“
    „Was hast du mit ihm getan?“
    „Wir haben nur geredet, er wurde wütend, und dann …“
    Ein wildes, kreischendes Gurgeln ertönte aus dem Schlafzimmer, ein Geräusch, wie es nur von angegriffenen, auseinanderfallenden Stimmbändern produziert werden konnte. Elena stürzte hinein. Kaum eine Sekunde später kam sie wieder herausgerannt. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
    „Du hast ihn vergiftet“, schrie sie.
    „Nein, ich weiß doch auch nicht, was geschehen ist. Als ich bei ihm war, hat er plötzlich …“
    „Lüg mich nicht an. Roditis hat dich mit dem Auftrag hierher geschickt, ihn zu töten. Und mir erzählst du, du wolltest nur mal bei ihm vorbeischauen!“
    Mit wilder Wut packte sie Noyes und zerrte ihn aus der Wohnung. Angst und der Schock drohten ihr den Verstand zu sprengen. Aber draußen an der frischen Luft beruhigte sie sich wieder. Sie fand einen Augenblick Zeit, das Geschehene zu verdauen und gewann ihre Beherrschtheit wieder.
    „Wir gehen jetzt zu mir“, sagte Elena. „Du hast mich heute abend einmal hereingelegt, Charles. Ein zweites Mal soll dir das nicht glücken. Nun halte du deinen Teil der Abmachung ein.“
    Noyes stand kurz vor dem Zusammenbruch.

Weitere Kostenlose Bücher