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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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spät balsamiert werden mußten.
    »Zara, Hafen der Gnade! Lauf wenigstens und hole Samson die Halskrause aus seinem Zimmer!« sagte Gertrude, die ihrer Gesellschafterin, wie sie sie nannte, sogar im Zorn alles durchgehen ließ.
    |30| Worauf Zara ein Maul zog und widerwillig gehorchte, verlockte es sie doch wenig, das warme Zimmer zu verlassen und sich durchs kalte Haus zu bewegen. Und als ich sah, wie die liebe Gertrude sich Samson zu nähern scheute, solange er die grünliche Flasche hielt, hieß ich ihn, sie selbst auf den Tisch zu stellen. Wie gesagt, seine Phiolen liebte Samson über alles.
    »Kommt her, schöner Traumwandler!« sagte Gertrude, indem sie ihn bei der Hand faßte und auf den Schemel vor ihrem beleuchteten Spiegel niedersetzte, wo sie seine fleckigen Finger sogleich mit Weingeist zu reinigen begann.
    Ich hakte meinen Quéribus unter und überließ unsere Schöne ihrer Beschäftigung, sie würde sie schon zum Guten führen, kein Zweifel, zumal Zara mit Samsons Halskrause angestöckelt kam und sie um seinen Hals legte, nachdem sie ihm das Wams zugeknöpft hatte.
    Die kleine Wendeltreppe, die wir einer nach dem anderen hinunterstiegen, mutete uns eisig an, ganz als fauchte der Wind durch die Quadersteine hindurch. Im großen Saal aber – wie hell und tröstlich empfingen uns da die Flammen in den beiden einander gegenüberliegenden Kaminen!
    Unser Gesinde saß schon, jeder an seinem Platz am unteren Ende der Tafel, die Mützen unterm Hintern, mit gewaschenen Händen und geschlossenem Mund, während Sauveterre und Siorac auf und nieder stiefelten, doch nicht etwa nebeneinander, sondern gegenläufig. Und trafen sie sich in der Mitte ihrer Pendelgänge, wechselten sie jeweils ein paar Worte, und wie gewöhnlich hütete sich Sauveterre, den Fuß auf eine Ritze zwischen den großen Fliesen zu setzen, so daß er immer mal einen größeren oder kleineren Schritt einlegen mußte, was ihm nicht leichtfiel, weil er auf dem linken Bein humpelte wegen der Verwundung, die er sich vor siebenundzwanzig Jahren bei Cérisolles geholt hatte.
    »Beim Ochsenhorn«, grummelte er (Ochse und Horn bildeten den einzigen Fluch, den er sich gestattete), »was für Extrakosten, zwei Feuer in einem Raum!«
    »Wozu haben wir uns die beiden Kamine sonst gebaut?« sagte mein Vater, indem er ihn kreuzte. »Jeder heizt eine Hälfte vom Saal.«
    »Aber zwei Feuer!« sagte Sauveterre, »wo eins gereicht hätte.«
    |31| »Uns vielleicht«, sagte Siorac, indem er weiterging und Sauveterre von Rücken zu Rücken antwortete, »aber nicht den Damen, die mit halboffenem Busen gehen.«
    Daß er seinen Bruder damit aufziehen wollte, dessen bin ich mir gewiß.
    »Die Pest über diese ruinösen Busen!« knurrte Sauveterre, seinen Gang bis zur Kehre fortsetzend, die Augen auf den Fliesenritzen. »Können sie sich, unserm Holzvorrat zuliebe, nicht Wolle anziehen?«
    »Ein Jammer wäre das!« sagte mein Vater halblaut, nun auch am Ende des Saals.
    Aber Sauveterre hatte feine Ohren.
    »Bei der Rechnung«, sagte er, indem er wieder auf Siorac zuschritt, »reicht unser Holz kaum über den Winter.«
    »Höre, Bruder«, sagte Siorac, »wir haben Scheite auf dem Holzstoß, um zwei Winter zu überstehen!«
    »Aber nicht einen harten wie den kommenden«, sagte der Onkel, »fragt Faujanet.« Was er périgurdinisch 1 »Faujanette« aussprach wie wir alle.
    »Faujanet«, sagte mein Vater, indem er stehenblieb und das Gesicht dem unteren Tischende zuwandte, »was weißt du über den kommenden Winter?«
    Faujanet, dunkel und ein Hinkefuß wie Sauveterre (weshalb sie einander so mochten), erhob sich. Bevor er den Mund auftat, nahm er die Mütze, die ihm Hintern und Schemel gewärmt hatte, und drehte sie in den rauhen Händen, um zu betonen, daß er zum Herrn mit entblößtem Haupte sprach.
    »Moussu«, sagte Faujanet, »ich war heut morgen unsere Böschung an der Beunes begradigen, da stieß ich auf einen Bau. Guck an, denk ich, ein Hase! Und grab und grab. Aber, nichts von Hase! Ein Murmeltier war’s! Und einen guten halben Klafter tief! Was beweist, daß der Winter zeitig kommt dies Jahr und hart wird, und daß der Schnee liegenbleibt.«
    Diese Vorhersage erschien allen unumstößlich sicher – keiner bezweifelte die Weisheit des überwinternden Murmeltiers –, also zogen unsere Leute lange Gesichter, und mein Vater machte einen Spaß, um sie aufzumuntern.
    »Wird der Winter stramm, kneif die Arschbacken zusamm’«, |32| sagte er auf okzitanisch. Alle

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