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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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reichen Familie, mit der sie an verschiedenen Orten lebte. Die Dame schikanierte sie, doch der Hausherr nahm sie in Schutz. Eines Tages lief sie vor einer Schuhmacherei Großvater über den Weg. Er putzte gerade das Schaufenster und sang. Als sie vorbeiging, sprach er sie an. Eine Weile lang ließ er sie im Glauben, es sei sein Laden. Tatsächlich konnte er die Schuhmacherei erst später, als Fleurs Mutter schon auf der Welt war, übernehmen. Grosi half ihm im Geschäft. Sie erledigte Näharbeiten, bediente Kunden. Fleur sah sie fast immer mit einer Schürze bekleidet. So elegant wie Alice Maag war sie nie.
    Alice setzt sich wieder an den Tisch, lächelt. Fleur gibt sich einen Schubs: «Wie war das Treffen neulich?»
    «Es hat eine Weile gedauert, bis Alexander und ich ins Gespräch kamen.»
    «Werdet ihr euch wieder sehen?»
    Alice zögert. «Ich hoffe es. Wollen wir uns an den Computer setzen?»
    Fleur hilft Alice, das Geschirr in die Küche zu räumen. «Siehst du das Fenster dort?» Fleur zeigt diagonal über den Hof auf das oberste Stockwerk.
    «Das gekippte?»
    «Genau. Das ist das Schlafzimmer meiner Mutter.»
    «Sie hat blondes Haar und hängt am Morgen die Bettdecke zum Lüften aus dem Fenster, oder?»
    «Eine Marotte von ihr.»
    Im Arbeitszimmer lädt Fleur die Porträts auf den Computer. Alice schaut ihr über die Schultern.
    «So gelungene Fotos von mir habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Du bist eine gute Fotografin.»
    «Das Licht war gut, das ist alles.»
    «Zeigst du mir die anderen Bilder?»
    «Wenn du magst.»
    Fleur klickt sie an.
    «Oh, den kenne ich!»
    Alice zeigt auf den Wasserstrudel. «Das ist der vom Wehr, nicht?»
    «Ja.»
    Fleur fügt die Fotos so aneinander, dass sich der Ball auf dem Strudel ruckartig dreht.
    «Verblüffend», sagt Alice.
    «Soll ich dir den Strudel als Bildschirmschoner einrichten?»
    «Was ist das?»
    Fleur erklärt es ihr.
    «Ja, bitte tu das.»
    Alice scheint ihre Fotos wirklich zu mögen. Guckt Mutter ihre Bilder an, sagt sie «klassische Lichtführung», «lustiges Motiv» oder «m». Danach zieht sie Vergleiche mit berühmten Fotografen und zeigt ihr deren Bilder. Kürzlich stritten sie sich, weil Fleur etwas Abschätziges über Rodtschenko sagte. «Mach es besser», sagte Mutter.
    «Er ist kein Vorbild.»
    «Man kann nicht einfach drauflosknipsen», sagte Mutter. «Man muss wissen, was andere vor einem geschaffen haben.»
    Sarah liebte ihre Fotos. Sie klebte sie in die Agenda, benutzte sie als Buchzeichen. Sarah ließ sich sogar nackt fotografieren. Wenn das der Sektenpfarrer wüsste.
    Beim Abspeichern der Fotos bemerkt Fleur, dass Alice’ Dokumente kreuz und quer abgelegt sind. «Korrespondenz mit Telefongesellschaft» neben einem «Brief ans Radio», die Steuererklärung neben einer Geburtstagseinladung. «Findest du deine Dokumente auf dem Computer?»
    Alice seufzt. «Die verschwinden, obwohl ich sie gesichert habe. Das Gerät verschluckt sie.»
    «Du musst sie nur richtig ablegen.»
    «Ich weiß nicht, wie das geht. Könntest du das für mich übernehmen? Ich gebe dir etwas dafür.»
    «Einverstanden.»
    Sie zeigt Alice, wie sie die Porträtfotos verschicken kann, und verabschiedet sich mit dem Versprechen, wieder zu kommen, um die Dokumente zu ordnen.
    Alice wäscht die Teetassen ab. Wie hübsch Fleur ist, wie talentiert. Und verkriecht sich im Körper. Alice musste dem Impuls widerstehen, mit den Händen über ihre Schultern zu streichen und «Zeig dich!» zu sagen. Im Ballero hatte sie das getan. Zur Demonstration atmete sie tief ein, weitete die Rippen und hob das Kinn. Mit «Hier bin ich!» breitete sie die Arme aus. Die Schüler taten es ihr nach und richteten sich auf – wenigstens im Unterricht. Aber sie ist Nachbarin, nicht Lehrerin. Sie kann einem Nachbarsmädchen, das sie kaum kennt, nicht sagen, dass sie sich selbst einst unverstanden fühlte. Nirgends dazugehörte. Sie kann nicht sagen: «Du wirst deinen Platz finden.»
    In Fleurs Alter hätte sie sich nicht geglaubt. Sie hielt ihre Wünsche für unerfüllbar: Bewundert werden, schön sein, so schön wie Audrey Hepburn. Und reich. Alice trocknet die Tassen ab und stellt sie in den Schrank. Sie wollte nicht wie ihre Mutter werden, die sich mit Sticken und Stricken vom Haushalten erholte. Alice glaubte an die große Liebe und fürchtete doch, ihr nie zu begegnen. Sie sehnte sich nach Verbündeten, die sie akzeptierten, wie sie war. Viel hätte sie darum gegeben, zu wissen, wie sie war. Der

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