Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
Vom Netzwerk:
und Arme geben der Tänzerin die Richtung an, die Füße des Choreografen bewegen sich fast nicht mehr. Schließlich setzt er sich schwer atmend und wendet seine ganze Aufmerksamkeit der Tänzerin zu.
    Auf sein Kopfnicken hin treten von allen Seiten junge Männer auf die Tanzfläche, wiegen ihre Körper vor und zurück. Die Kamera zoomt die Füße heran, die Schritte wiederholen sich, kreisen um sich selbst, beschleunigen. Alice verliert den Überblick, ihr wird fast schwindlig. Die Dynamik der Gruppe, die Intimität der Nahaufnahmen, das Schnaufen und Stampfen und die vollkommene Konzentration der Tänzer wühlen sie auf. Diese Intensität, diese Hingabe. Wie kann sie geglaubt haben, dass sie das Tanzen nicht vermisst. Sie verliert die Fassung. Wenn Alexander nur keine falsche Bemerkung macht.
    Ein Interview der jungen Tänzerin mit dem Choreografen besänftigt ihren Aufruhr. Wie sich der Bolero im Vergleich zu früher anfühle, will die Tänzerin von ihrem Lehrer wissen. «Den perfekten Moment, in dem alles leicht wird, erlebe ich nicht mehr. Ich kann meinen Körper nicht mehr bis zu diesem Punkt fordern.»
    «Wie traurig.»
    «Ja.» Der Choreograf lächelt sie an. «Wenn ich sehe, dass ihr weitermacht, kann ich es leichter akzeptieren. Durch euch lebt mein Werk weiter.» Alexander sieht zu Alice herüber.
    Beim Hinausgehen fragt er: «Und, wann tanzt du das nächste Mal?»
    Alice sagt über die Schulter: «Sobald mich jemand dazu auffordert.»
    «Ich bin aus der Übung. Du wärest enttäuscht.»
    «Ach was. Ich tanze auch nicht mehr wie früher.»
    Alexander tritt hinter ihr ins Freie. «Ravels Bolero ist so packend, dass ich mich frage, ob man dazu etwas choreografieren kann, das einen nicht mitreißt.»
    Wie selbstverständlich gehen sie nebeneinander durch die Altstadt. Vor dem Tearoom Hofgarten fragt Alice: «Darf ich dich einladen?»
    «Ausnahmsweise.»
    Sie setzen sich an den gleichen Tisch wie beim ersten Treffen. Diesmal Alice am Fenster, Alexander ihr gegenüber. «Auch ein Stück Himbeerrahmtorte?», fragt er. «Sie schmeckt vorzüglich.»
    Alice lehnt ab und bestellt einen Milchkaffee. «Ich bewundere den Mut des Choreografen», sagt sie.
    «Mut?»
    «Alle können sehen, dass er gebrechlich ist. Er stellt sich aus.»
    «Tun das Tänzer nicht immer?»
    Der Kellner serviert den Kaffee und stellt das Stück Torte vor Alexander.
    «Nein. Sie führen uns vollkommene Körperbeherrschung vor, Schönheit und Vitalität.»
    Alexander sticht in den Kuchen. «Als der Choreograf jung war, stand er zu seiner Vorstellung von Tanz, heute steht er darüber hinaus zu seinem Alter. Ich denke nicht, dass das schwieriger ist.»
    «Ich schon», sagt Alice entschieden. «Für einen schönen Körper wird man bewundert, für einen gebrechlichen bemitleidet.»
    «Mitleid kann man ignorieren.»
    Immer will Alexander das letzte Wort haben. Alice sieht ihm in die Augen und sagt: «Kritik kann man auch ignorieren.»
    Er schaut sie neugierig an. «Wofür wurdest du kritisiert?»
    «Als ich anfing, Turniere zu tanzen, sagten die Leute: ‹Die meint, sie sei etwas Besonderes›.»
    «Von mir sagten sie, ich sei stur.»
    Alice lacht. «Darauf wäre ich nicht gekommen.»
    «Ich gelobe Besserung.»
    «Du hast so viel erreicht.»
    «Wie man es nimmt. Auftraggeber ertragen es schlecht, wenn der Architekt seine Vorstellung von Qualität über ihre Wünsche stellt. Das hat mich Aufträge gekostet. Überdies habe ich mit meiner Kompromisslosigkeit die Frauen vertrieben. Auch die, die ich geliebt habe.»
    «Warst du verheiratet?» Endlich kann sie danach fragen.
    Er wischt sich mit der Serviette über den Mund und schüttelt den Kopf. «Verlobt.» Bevor sie weiterfragen kann, fragt er: «Und du?»
    «Verheiratet. Ich dachte, den Mann fürs Leben gefunden zu haben.»
    «Und dann?»
    «Stieß ich auf das Leben, das ich führen wollte, und ließ mich scheiden.»
    Der Kellner nähert sich dem Tisch, beäugt die Kaffeetassen. Als er außer Hörweite ist, sagt Alexander leise: «Ich war zu beschäftigt zum Heiraten.» Sein Gesichtsausdruck hält Alice davon ab, nachzufragen. Plötzlich hebt er das Kinn, sagt spitzbübisch: «Aber mit 77 Jahren steigt die Chance, dass ich es schaffe, ‹bis dass der Tod mich scheidet› zu lieben.»
    Sie lacht. «Heiraten? Zusammenziehen? Stell dir vor, jemand würde mit seinen Möbeln vor der Tür stehen und sie zwischen deine stellen wollen.»
    Alexander stimmt in ihr Gelächter ein.
    «Es gibt gleich zu essen»,

Weitere Kostenlose Bücher