Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
noch lebt. Seine Seele ist noch in der a n deren Welt.“
Ihr Herz zog sich zusammen. Dann war also auch Pecan gestorben, und sie war ihm fern gewesen, als es geschehen war. Das Licht der So n ne schien sie trösten zu wollen, streichelte ihre Haut und schickte einen Wind, der nach Frieden und Hoffnung roch. Sie wollte ihrer Familie entgegenlaufen, sie umarmen und küssen, doch etwas hielt sie zurück. Dort, am anderen Ufer des Flusses, zog Dunkelheit auf. Eine undurc h dringliche, warme, fremdartige Dunkelheit, die sie zu locken schien.
Wenn du dich entscheiden musst, mein Blauauge, entscheide dich immer für die Z u kunft. Versprich es mir. Geh nicht zurück. Geh voran. Nach vorn.
Sie tat einen Schritt hin zum Licht. Nocona öffnete seine Arme, Pecans und Topsannahs Rufe hallten durch die Stille des Morgens.
„Alles wird sein wie damals“, sagte seine Stimme in ihrem Kopf. Ihre Sehnsucht war so groß, so gewaltig. Sie brauchte ihn, sie vermisste ihn aus tiefster Seele, und doch fühlte sich jeder Schritt, der sie zu ihm füh r te, falsch an. „Komm, mein Blauauge. Wir haben so lange auf dich g e wartet .“
Naduah blieb stehen, wandte sich um und sah die Dunkelheit sich öf f nen. Sie war ein Tor, ein Weg. Aber wohin?
Geh nicht zurück. Geh voran. Nach vorn .
Als sie sich wieder Nocona und ihren Kindern zuwandte, hatte sich etwas verändert. Naduah spürte, wie sie rückwärtsging. Hin zu der l o ckenden Schwärze. Sie wusste, dass dort etwas auf sie wartete. Etwas Neues. Ein Anfang, kein Ende.
Hinter dem Licht der Sonne sah sie Nocona lächeln.
„ Geh in die Zukunft “, sagte er. „ Es ist gut so . Unsere Liebe wird i m mer bei dir sein. “
Er winkte ihr zu, dann wandte er sich um und ging zurück zu den Ze l ten. Topsannah auf seinen Schultern, Pecan an seiner Hand. Der Anblick der Gestalten, die langsam hinter dem Kamm des Hügels verschwanden und in die Vergangenheit zurückkehrten, brannte sich in ihre Seele ein.
Ein Abschied. Nicht von ihrer Familie, sondern von einem Leben.
Das Eis des Flusses knackte unter ihren Schritten. Die Dunkelheit kam ihr freundlich entgegen und umhüllte sie mit Wärme. Sie schlief ein, schwerelos und gedankenlos. Augenblicke lang und doch für die Dauer ungezählter Äonen.
Das Aroma von knisterndem, brennendem Holz begleitete sie.
Wenn es einen Geruch gab, den sie mit ihrer Heimat verband, dann war es Rauch. Warmer, salbeigeschwängerter Rauch.
Es war ein langer, guter Schlaf, in dem sie ruhte, viele Menschenleben lang, die sie als Träume vorüberziehen spürte. Und als sie erwachte, wu r de sie von dem empfangen, was sie damals verabschiedet hatte.
Licht. Hell und rein.
Makah, 2011
S
eine Existenz reduzierte sich auf Atem und Herzschlag. Er spürte, wie leicht und kühl sich das Einatmen anfühlte, wenn sich seine Lungen mit Luft vollzogen. Und er spürte das wa r me, schwere Ausatmen. Das Strömen aus ihm hinaus. Jedes krampfhafte Zusammenziehen seines Herzens, jeden Pul s schlag, der das Blut durch seine Adern trieb. Hitze stieg ihm zu Kopf. Eis floss über seine Wirbe l säule. Er wurde leicht, während jeder Nerv zu prickeln begann.
Die letzten Sekunden purer Lebendigkeit.
Als Isabella die Augen wieder öffnete und sich anspannte, wusste er, dass es so weit war. Makah bereitete sich auf den Schmerz vor. Er würde heftig sein, aber kurz. So , als würde ihm jemand einen Ast fest vor die Brust stoßen. Der fließenden Wärme würde Kühle folgen. Dann Gefüh l losigkeit, Gedankenlosigkeit und Frieden. Vielleicht würden sie sich in der Vergangenheit wiedersehen. In dem Dorf am Fluss. Dort, wo sie am glücklichsten gewesen waren.
Er holte tief Luft. Isabella Finger zuckte, bereit, zuzudrücken.
Doch keine Kugel schlug in sein Herz.
Stattdessen legte sich eine Hand zart auf seine Schulter. Isabellas A u gen weiteten sich, ihr Blick ging seitlich an ihm vorbei.
Sara? Nein, unmöglich. Sie war tot. Unwiderruflich tot. Und Leichen erwachten nicht zu neuem Leben. Er hatte es doch gefühlt. Die Stille in ihrer Brust, die Kühle ihrer Haut. Den Tod. Die Abwesenheit der Seele.
„Tu es nicht.“
Es war ihre Stimme. Schwach und zittrig, mehr eine Erinnerung als ein wirklicher Klang.
„Bitte, Isabella.“
Makah war sprachlos. Er wollte sich bewegen, doch sein Körper g e horchte ihm nicht. Saras Körper streifte den seinen, schmiegte sich warm und leicht an ihn, während sie sich zwischen ihn und die Waffe schob. Ihre blassen Hände umfassten
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