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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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fragte Vampa.
    »Nein.« Tigwid drehte sich um und drückte mehrere Momente lang das Brot, als wolle er es zerquetschen. Dann entschied er sich hineinzubeißen. Er kaute mit vollen Backen. Das Brot war noch warm. Wieso hatte die Taube sich nicht damit bestechen lassen? Wieso hatte sie sich trotzdem bloß verhalten wie eine Taube ?
    Aber Tigwid wusste, dass es nicht an ihr lag, sondern an ihm. Er hatte zwar Mottengaben, konnte ein bisschen hier wirken, ein bisschen da - aber gut war er in nichts. Im Sprechen mit Tieren schon gar nicht. Dass er damals dem Hund Knebel seinen Namen hatte sagen können, war reines Glück gewesen. Er schluckte hinunter.
    »Und du bist sicher, dass in dem Blutbuch gar nichts von meinen Mottengaben stand?«, fragte er leise.

    Vampa sah ihn ausdruckslos an. »Gar nichts. Sonst müsste ich deine Gaben ja haben wie deine Erinnerungen und auch eine Motte sein.«
    Tigwid warf ihm einen unbehaglichen Blick zu, dann sah er zur Taube auf, die noch immer auf dem Ahornbaum saß und sich den Dreck aus den Krallen knabberte. Erneut nahm er einen Bissen Brot. Er war wütend und verzweifelt und fühlte sich hilflos und das alles machte ihn noch hungriger als ohnehin schon.
    Seine ganze Welt war innerhalb der letzten Stunden zusammengebrochen. Erst hatte Apolonia ihn so schändlich ausgenutzt, dann war Eck Jargo , seine einzige Heimat, untergegangen, er hatte herausgefunden, dass man ihm sein Glück gestohlen hatte, und jetzt war er nicht mal imstande, Apolonia vor demselben Schicksal zu bewahren. Noch dazu gab es jemanden, der all seine Geheimnisse kannte, das Geheimnis seiner Mottengaben zum Beispiel, und zu allem Überfluss nicht sterben konnte… Das war eine Katastrophe für jeden Banditen.
    »Überleg noch mal genau«, sagte Tigwid, obwohl er erleichtert war, dass in dem Buch nichts über seine Gabe stand und Vampa ihm die nicht auch noch hatte ablesen können. »Gab es keinen einzigen Hinweis darauf, dass ich eine Motte bin? Vielleicht hab ich ja schon mal mit einem Tier gesprochen. Vielleicht gibt es dafür einen Trick, den ich vergessen habe.« Vergessen musste , korrigierte er sich in Gedanken.
    Vampa zuckte bloß die Schultern unter den viel zu langen Ärmeln. »Offenbar hattest du keine glücklichen Erinnerungen, die mit deiner Gabe zu tun hatten.«
    »Komisch. Ich hab doch immer den größten Spaß, wenn ich meine Gabe einsetze.« Er musste aus irgendeinem Grund daran denken, wie er per Mottenkraft Apolonias Rock gehoben hatte, um ihre Schnürsenkel zu sehen. Nicht unbedingt
einer der schönsten Augenblicke mit seiner Gabe angesichts der eingeheimsten Ohrfeige… Ja, Apolonia hatte ihn geohrfeigt! Er schnaubte. Eigentlich sollte sie ihm piepegal sein. Wieso war er so besorgt um sie? Wieso durchforstete er die ganze Stadt nach Tieren, um sie zu füttern und sich kratzen und beißen zu lassen? Apolonias Problem war doch nicht seines! Er hatte selbst genug am Hals!
    Er stopfte sich beide Backen voller Brot und schluckte es mitsamt seinen Zweifeln hinunter. Hör auf, so viel nachzudenken, schalt er sich selbst. Er hatte nun mal beschlossen, den Dichtern das Handwerk zu legen. Ja! Er würde nicht zulassen, dass dieser vergilbte Professor oder dieser schmierige Morbus oder sonst einer ihrer Spinner noch jemandem antat, was sie ihm und Vampa angetan hatten. Dass ausgerechnet Apolonia ganz oben auf ihrer Opferliste stand, spielte dabei überhaupt keine Rolle - für jeden anderen hätte Tigwid dasselbe getan. Diesen Gedanken wiederholte er immer wieder und fühlte sich dabei fast wie ein Held.
    »Was tu ich hier bloß«, murmelte Tigwid und war ernsthaft ratlos. Er und ein Held? Vor zwei Tagen hätte er noch die Heilige Jungfrau mit Rum abgefüllt und bestohlen.
    »Gabriel«, sagte Vampa leise.
    »Nicht jetzt.« Er musste weiteressen und darüber nachdenken, wer er war. Und was zum Teufel er hier bloß tat.
    »Gabriel -«
    »Also, wir müssen was klären. Nenn mich nicht Gabriel, ja? Banditen halten ihre Namen geheim, und ich arbeite für Mone Flamm, den kennst du doch? Gut. Du verstehst also, dass ich aufpassen muss, jede Information über meine Identität kann der Polizei geflüstert werden.«
    »Wie soll ich dich denn …?«
    »Nenn mich Jorel, nenn mich Graf Warzenhintern, wenn du willst, ist mir egal.«

    »Also gut, ähm … die Taube.«
    »Wieso die Ta-«
    Vampa wies mit dem Finger in den Baum. Die Taube hatte den Kopf gereckt und die Flügel gespreizt. So saß sie auf dem Ast und erzitterte im

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