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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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kam er nur drei Schritte weit. Dann rutschte er auf dem Eis aus und knallte auf den Hosenboden.
    »Aaahhh …« Mit schmerzverzerrtem Gesicht rollte er sich auf die Knie und versuchte aufzustehen. »Verdammte …« Als hätte er nicht schon genug Beulen und blaue Flecken! Gott sei Dank war diese Peinlichkeit in der Dunkelheit unbeobachtet geblieben.
    Humpelnd und sich die schmerzende Stelle reibend, machte Tigwid sich davon.
     
    Bassar konnte nicht anders als zu lächeln. Ganz verlernt hatte er das Beschatten wohl doch nicht! In seinen Block notierte er bereits die Adresse des Hauses, in dem der Junge verschwunden war. Der nächste Polizeiwagen war drei Straßen entfernt, dazu folgten ihm ein paar Kollegen mit Spürhunden; Bassar musste nur noch warten. Dann würde sich herausstellen, wohin das Vögelchen geflogen war.
    Aber er hatte jetzt nicht die Geduld zu warten. Zum Teufel mit den Vorschriften - er war Inspektor, kein Postbeamter.
    Er trat in ein stockfinsteres Treppenhaus und zückte seine
Taschenlampe. Der schmale Lichtstreifen wanderte die grauen Stufen hinauf und hinunter, die in die anderen Stockwerke führten. Bassar legte eine Hand aufs Geländer und wollte die Treppe hinauf, um die Namen an den Wohnungstüren zu prüfen. Vielleicht stieß er gleich auf einen Bekannten. Plötzlich erklangen ein gedämpfter Wutschrei und ein markerschütterndes Klirren draußen im Hof. Bassar sprang zurück und leuchtete in die Richtung, aus der der Lärm gekommen war. Der Schein der Taschenlampe tänzelte über ein schmales Fenster im Flur. Es war einen Spalt geöffnet.
    Bassar ging hin. Aus irgendeiner Wohnung über ihm drangen streitende Stimmen. Gerade war er vor dem Fenster angekommen und spähte hinaus, da fiel etwas vom Himmel, kurz gefolgt von einem neuerlichen, ohrenbetäubenden Klirren: Ein Blumentopf samt Inhalt zerschellte im Hinterhof.
    Bassar schob das Fenster auf. Unter ihm war eine schmale, etwa zwei Meter hohe Mauer, die von Frost überzogen war. Und da im Frost - da waren Fußspuren.
    »Nein… nein!« Ohne die Taschenlampe auszuknipsen, stopfte er sie in seine Manteltasche zurück und rannte aus dem Haus.
     
    Die Hochstimmung, den Polizeispion abgehängt zu haben, hielt nicht lange an. Sobald Tigwid den Weg zu seinem wahren Ziel eingeschlagen hatte, erwachte ein Gefühl in ihm, als würde er sich mit dem Teufel zum Würfeln treffen.
    Während er durch die dunklen Straßen lief, begann er, sich gut zuzureden. War er nicht schon unzählige Male in die schwierigsten Gebäude eingebrochen? Er war noch nie erwischt worden und in brenzligen Situationen hatten das Glück und ein gewisses Talent ihn nie verlassen. Aber ob seine Mottengabe diesmal reichen würde, wenn etwas schiefging?

    Tigwid atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Er lockerte die Fäuste und legte den Kopf nach links und rechts. Es gab keinen Grund zur Sorge. Bloß weil er in das Büro des gefährlichsten Mannes der Stadt einbrechen wollte …
    Aber es ließ sich nicht umgehen. Tigwid wusste weder, wo Apolonia und Vampa steckten, noch hatte er eine Ahnung, wo Professor Ferol wohnte. Und vielleicht gab es noch einen anderen Weg, um die Dichter ans Messer zu liefern. Wenn er tatsächlich nur ausreichend Beweise brauchte - dann war die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass er ebendiese in Mone Flamms Akten fand.
    Denn Mone Flamm oder Flammen-Mo, wie manche ihn nannten, hatte seine Finger überall im Spiel, wo es um Geld und Geheimnisse ging. Die Akten seiner Klienten waren wie ein Reiseführer durch die Unterwelt. Womöglich ließ sich in Mone Flamms Büro auch etwas über Morbus und die Dichter finden.
    Plötzlich schnürte es Tigwid die Kehle zu. Er blieb stehen. Wie sollte er einen Beweis finden, wenn er nicht lesen konnte?
    Wütend setzte er sich wieder in Bewegung. Es war ja nicht seine Schuld, dass er es nie hatte lernen können. Aber dass er einmal so hilflos sein würde wegen ein paar Tintezeichen, das hätte er nie gedacht.
    Und wenn schon. Ein paar Buchstaben kannte er schließlich. Er würde einfach alles mitnehmen, was unter Ferol oder Morbus abgeheftet war.
    Die Straßen führten ihn in eine schmucke Gegend voller Geschäfte und mehrstöckiger Bürogebäude. In der Nähe strömte ein Arm des Flusses durch die Stadt, gesäumt von Ahornbäumen, die sich mit frostigen Ästen über die schwarzen Fluten beugten. Eine steinerne Brücke führte über den
Kanal und verband die gegenüberliegende Einkaufsallee mit den

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