Nocturne City 03 - Todeshunger
das Kinn. »Luna, du solltest wissen, dass ich nicht immer meine, was ich sage.«
»Das weiß ich, Dmitri, aber es war trotzdem meine Sache. Außerdem wollte ich dich nicht in eine Situation bringen, die du nicht mehr kontrollieren kannst … in jener Nacht …« Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Du hast mir Angst gemacht. Ich musste auf eigene Faust zurechtkommen, und solange dieses Dämonenblut in dir ist, werde ich meine Probleme immer allein lösen, denn ich will dich nicht noch einmal so erleben.«
Nun nahm Dmitri doch meine Hand. »Gut.«
Ich sah ihn verwundert an. »Was meinst du mit ›gut‹?«
»Gut soll heißen, dass ich dich zu nichts mehr drängen werde. Du bist Insoli. Punkt. Wir mögen unsere Probleme haben, aber trotzdem gehörst du zu mir.« Er sah mir in die Augen, aber ich konnte nicht anders, als an Lucas zu denken, der hinter mir im Krankenhaus lag – an seine kühle Haut und dieses Gefühl der Sicherheit, das er mir gegeben hatte. Gleichzeitig spürte ich, wie die Gefühle für Dmitri in meiner Brust zu einem harten Knoten verklumpten.
»Ich weiß, es wird nicht leicht werden«, meinte Dmitri. »Aber ich will es noch mal versuchen. Ich denke, es kann funktionieren, Luna. Zusammen können wir es schaffen.«
Ich lächelte traurig und ließ seine Hand los. »Wahrscheinlich hast du recht, es könnte funktionieren. Wenn wir uns anstrengen, könnte ich mich wahrscheinlich öffnen, und du würdest vielleicht aufhören, dauernd das Alpha-Männchen zu mimen. Das würde uns ein paar Jahre Aufschub geben, aber irgendwann wird das Blut des Dämons dafür sorgen, dass du deine Vorsätze wieder vergisst.« Ich holte tief Luft und fühlte, wie die nächsten Worte schon schmerzten, ehe ich sie ausgesprochen hatte. Dmitri war zu mir zurückgekommen. Trotz allem. Doch ich konnte nicht zulassen, dass wir uns – ungeachtet aller guten Vorsätze – weiter im Kreis drehten. Ich musste Verantwortung übernehmen, sosehr es mich auch schmerzte.
»Aber ich habe mich dagegen entschieden. Wir werden nie gut genug miteinander auskommen, um zusammenleben zu können. Es stimmt, ich gehe zu viele Risiken ein und habe ein fürchterliches Temperament, und ich weiß, dass ich daran arbeiten muss …« Ich schluckte und trat einen Schritt zurück auf den Bürgersteig. »Aber es geht nicht um mich. Du bist der, der sich verändert. Wenn du nichts dagegen tust, wird dich das Ding in deiner Brust eines Tages vollkommen vereinnahmen, und solange du mit mir zusammen bist, wirst du nichts dagegen unternehmen, weil du nur darauf fixiert bist, mich zu beschützen.«
Meine Knochen wurden plötzlich tonnenschwer, und ich sah Dmitri in die Augen. »Der Dämon wird von dir Besitz ergreifen, und du wirst nicht mehr Dmitri sein. Du wirst verzweifelt versuchen, zu dir selbst zurückzufinden, und dich dabei ins Verderben stürzen. Das wäre mit Sicherheit der traurigste Tag meines Lebens. Ich kann einfach nicht … ich kann nicht und ich will nicht für deinen Tod verantwortlich sein, Dmitri. Tut mir leid.«
Dmitri sackte auf dem Sitz seines Motorrads zusammen. Seine Augen änderten von einer Sekunde auf die andere ihre Farbe, von Grün zu Schwarz, aber es machte mir nichts mehr aus. Zum ersten Mal hatte ich keine Angst mehr davor, dem Dämon in ihm in die Augen zu sehen.
»Willst du mir damit etwa sagen, es ist vorbei?«, fragte er schroff.
Ich lächelte weiter. Wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich in Tränen ausgebrochen. »Nein, Dmitri. Ich sage dir Lebewohl.«
Epilog
Es dauerte einen Monat, bis all meine Befragungen und internen Untersuchungen erledigt waren. In dieser Zeit war auch die Erinnerung an Lucas’ Silberklinge und die damit zusammenhängenden Ereignisse so weit verblasst, dass ich einen längst überfälligen Besuch in Angriff nehmen konnte. Er führte mich zum neuen Friedhof Seaview Gardens in der Nähe der Klippen am Highway 21.
Schweigend legte ich den seiner Magie beraubten Talisman auf den flachen Grabstein und strich mit den Fingern über die Inschrift: »Hier ruht unsere geliebte Tochter Laurel Lynn Hicks«
»Ich erwarte keine Verzeihung«, flüsterte ich. »Ich lege die Sachen nur wieder an ihren Platz zurück.« Den Anblick von Lauras leblosem Körper auf dem Boden ihrer Wohnung würde ich wahrscheinlich ebenso wenig vergessen können wie die quälende Gewissheit, dass ihr Tod ganz allein meine Schuld gewesen war. Ich konnte nur hoffen, dass meine Geste ihrer Seele etwas Frieden schenken
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