Nocturne City 03 - Todeshunger
ihn wegstieß, und ich schlüpfte an ihm vorbei. Seine Nasenflügel blähten sich auf. »He, du bist doch …«
»Noch ein Wort …«, fuhr ich ihn knurrend an, »… und ich reiße dir dein Gemächt ab und mache Eierkuchen daraus, kapiert?!« Der Roadie erblasste, trat ein paar Schritte zurück und ließ uns gewähren.
Was von außen wie eine alte Landungsbrücke ausgesehen hatte, war von innen eine feuchte und vor sich hin verrottende Lagerhalle, in der alles mit einer Meersalzschicht überzogen war. In der Glasdecke fehlten einige Scheiben, die Stahlpfeiler der Wände wirkten wie die Rippen eines verrosteten Riesenroboters und unter unseren Füßen ächzten morsche Bretter. Als Wohnstätten hatten die Serpent Eyes Zelte und Kisten auf dem Hallenboden aufgestellt und sich ein paar Hütten aus Wellblechresten zusammengezimmert. Über unseren Köpfen kreuzten sich jede Menge Stromkabel, die in altersschwache Transformatoren mündeten und wegen der feuchten Luft und des von oben eindringenden Wassers bedrohlich vor sich hin knisterten. Der Qualm von Campingkochern mischte sich mit dem Gestank vertrockneter Algen und verdreckten Hafenwassers und sorgte für eine fast unerträgliche Duftkulisse.
Wenn es das war, wovor mich meine Flucht vor Joshua bewahrt hatte, so weinte ich dem keine Träne nach.
»Wir suchen Carla Runyon!«, grölte Bryson, als wir in der Mitte der Halle angekommen waren. Ich hatte zwar immer geglaubt, dass sein widerwärtiges Geplärr außer zum Verscheuchen von Kleinkindern und Nagetieren völlig unnütz war – aber jetzt, da er sein Organ einsetzte, um unsere Zielperson ausfindig zu machen, musste ich mir eingestehen, dass ich mich geirrt haben könnte. »Carla!«, donnerte Bryson noch einmal. »Wir wollen doch nur mit Ihnen sprechen.«
»Ich bin Carla«, entgegnete eine Stimme aus dem Rauch, der zwischen den Zelten aufstieg. »Hören Sie auf, so herumzubrüllen, ja? Hier versuchen nämlich einige Leute zu schlafen.«
Carla sah zwar viel älter aus als auf dem Bild der Vermisstenanzeige und hatte mittlerweile runzlige Fältchen an den Mundwinkeln bekommen, aber dem Gruft-Make-up im Gesicht und den bunt gefärbten Haaren, an deren Ansätzen ein schmutziges Blond zum Vorschein kam, war sie treu geblieben. Außerdem schien sie im Vergleich zum Foto abgenommen zu haben – bedeckt von einem zu weiten schwarzen Samtkleid schlabberten lange, zerrissene Netzstrümpfe locker um ihre Beine.
»Könnten Sie bitte zu uns herüberkommen?«, forderte Bryson sie mit einer winkenden Handbewegung auf.
»Nein«, sagte Carla. Sie zog eine Zigarette aus ihrem Strumpfband und zündete sie an. »Sie können von dort aus mit mir reden.«
Ich begann, Carla zu mögen.
»Wir sind hier, weil wir Grund zu der Annahme haben, dass Ihr Leben in Gefahr sein könnte«, erklärte Bryson.
Carla schnaubte verächtlich. »Haben Sie sich mal umgesehen, Herr Wachtmeister? Mein Leben ist jeden gottverdammten Tag in Gefahr. Nicht zuletzt durch Typen wie Sie. Erzählen Sie mir also lieber etwas, das ich noch nicht weiß.«
»Gut, genug der Vorrede. Wie war s, wenn Sie jetzt mal Ihren Hintern zu uns herüberschieben?«, donnerte Bryson.
»Lasst sie in Ruhe!«, rief eine Stimme aus der kleinen Menge, die sich mittlerweile hinter Carla versammelt hatte.
»Ja, lasst sie in Ruhe!«, stimmte eine weitere zu.
»Verdammte Drecksbullen! Kommen nur her, um uns zu behelligen …«
»Die Tussi da ist nicht nur ein einfacher Bulle, Leute«, rief der Roadie von der Tür herüber. »Sie ist eine von uns! Ein despektierliches kleines Miststück, das meint, ohne sein Rudel besser dran zu sein!«
Wenn einen plötzlich fünfunddreißig Augenpaare feindselig anstarren, ist das in etwa so, als würde einem jemand die Hand auf einen heißen Grill legen – ein verdammt ekelhaftes Gefühl, bei dem man nicht besonders viel tun kann, außer vor Schreck zusammenzuzucken. Einige Serpent Eyes knurrten und ließen ihre Reißzähne aufblitzen, um mich einzuschüchtern. Ich blieb einfach ruhig stehen, behielt meine Arme an der Seite und versuchte, den Mund geschlossen und die Augen offen zu halten. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich sicherlich zurückgeknurrt, die Zähne ausgefahren und die Augen golden funkeln lassen, aber mit einem gewöhnlichen Menschen an meiner Seite zog ich es vor, die Serpent Eyes nicht weiter zu provozieren.
»Sie ist eine Insoli!«, rief der Roadie. »Vielleicht sollten wir sie lehren, unser Revier zu achten!«
»Bei
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