Nocturne City 03 - Todeshunger
absank.
»Ich kann nicht schwimmen«, teilte Bryson mir mit. Mit Mühe kämpften wir uns durch den Strom der Serpent Eyes zu den Türen vor. Überflüssig zu erwähnen, dass uns keiner von ihnen half. Zu allem Unglück hatte sich die schwere Stahltür durch das Beben im Rahmen verkeilt. Kurz entschlossen warf ich mich mit der Schulter voraus gegen die demolierte Tür und stemmte mich mit der ganzen Kraft der Wölfin gegen den verbeulten Stahl. Schon nach wenigen Augenblicken gaben die Scharniere mit quietschenden Geräuschen nach, und ein paar Schrauben fielen viel zu langsam zu Boden.
»Komm schon Luna!«, rief Bryson. »Fester!«
»Wenn du glaubst, das sei so leicht … kannst du ja … deinen dicken Hintern herbewegen … und mithelfen …«, keuchte ich. Dann warf ich mich erneut gegen die Tür. Mit einem fürchterlichen Krachen, von dem ich nicht wusste, ob es von der Tür oder meiner demolierten Schulter stammte, flog sie auf, und staubgetränkte Sonnenstrahlen fluteten den Pier.
Die Welt draußen war in etwa so, wie ich mir Nocturne in den Hex Riots vorgestellt hatte: Dicke Staubwolken und beißender Qualm vernebelten die Sicht, sodass man nicht mal mehr bis Highland Park sehen konnte. Die Hochhäuser an der Siren Bay erhoben sich wie die Finger eines fleischlosen Skeletts, und über allem thronte das Heulen der Sirenen, das sich mit dem Kreischen der Autoalarmanlagen zu einem nicht enden wollenden Jammerton des Chaos vermischte.
Während Bryson sein Mobiltelefon aus der Hosentasche zog und die Notrufnummer wählte, legte ich Carla auf den Fußgängerweg vor der Halle und überprüfte ihre Vitalfunktionen. »Hallo, David Bryson hier. Ich bin am Pier neunundzwanzig und brauche so schnell es geht ein paar Rettungswagen und die Feuerwehr. Ich weiß, dass die ganze Stadt gerade bei ihnen anruft, aber wir haben eine ganze Reihe Verletzte hier, die Hilfe brauchen.« Er lauschte eine Minute lang und presste dabei die Lippen zusammen. »Jetzt hören Sie mir mal zu! Ich bin Detective beim Nocturne City Police Department, also sparen Sie sich das Diskutieren und schicken Sie ein paar gottverdammte Rettungswagen her – und zwar zackig!« Ohne sich zu verabschieden, ließ er das Mobiltelefon zuklappen und fing an, im Kreis zu laufen. »Unglaublich, Wilder, oder? Das ist doch nicht normal. Scheint ganz so, als sei das Ende der Welt gekommen!«
Ich nickte und überlegte. Selbst für eine Stadt, die wegen der Bruchlinie unter dem nahe gelegenen Gebirge hin und wieder Erdbeben zu spüren bekam, waren solche Erschütterungen nicht normal. Ich dachte über die Dinge und Wesen nach, die den Boden unter meinen Füßen zum Beben bringen konnten, und wünschte mir, gar nicht erst damit angefangen zu haben.
Bryson wies mit einer Kopfbewegung auf das Rudel. »Was ist mit denen da?«
Die Serpent Eyes hatten sich knapp fünfzig Meter von uns entfernt gesammelt. Einige versorgten ihre Wunden, andere riefen die Namen der Vermissten, aber keiner von ihnen machte Anstalten, die Verletzten und Toten von dem sinkenden Pier zu bergen. Als Mitglied eines Rudels akzeptierte man schnell, dass einige der Freunde irgendwann starben und ein paar andere überlebten. Nach einer gewissen Zeit fing man dann an, für jeden Tag mit etwas Essen im Magen und einem Dach über dem Kopf dankbar zu sein, und nahm den Rest als Schicksalswendungen hin … so hatte es mir Dmitri zumindest irgendwann mal erklärt. Für mich waren das aber keine Argumente, sondern fadenscheinige Ausflüchte. Punkt Nummer 242 auf der Liste »Warum Luna Wilder lieber Insoli bleibt«.
Niemand vom Rudel schien sich dafür zu interessieren, dass sich ein gewöhnlicher Mensch und eine rudellose Außenseiterin der Partnerin ihres Anführers angenommen hatten. Offenbar stand Carla genauso weit unten in der Rangordnung wie ich, wenn Joshua nicht da war. »Vergiss sie«, sagte ich zu Bryson. »Wir müssen Carla mitnehmen.«
Kurze Zeit später begann sie zu blinzeln und öffnete die Augen, eine Hand betastete ihren Hinterkopf. »Irgendwas hat mich am Kopf erwischt.«
»Das wird wieder«, beruhigte ich sie. »Wie viele Finger sind das?« Ich hielt zwei hoch.
»Elf«, entgegnete Carla und verdrehte die Augen. Dann setzte sie sich ruckartig auf und tat, als sei nichts gewesen. Ihr schwankender Oberkörper und der schmerzverzerrte Ausdruck auf ihrem Gesicht wiesen auf das Gegenteil hin. »Ich muss weg …«
»Ganz langsam«, redete ich auf sie ein. »Sie haben bei dem Beben ganz
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