Noelles Demut
Als Besitzer des Restaurants wird er sowieso nicht ständig da sein. Kennst du den Chefkoch vom Marquis ?“
„Nein! Ich weiß nur, dass er Franzose ist.“
„Hoffentlich keiner von der Sorte, die denken, sie sind die Einzigen, die kochen können. Frédéric war so einer. Wegen ihm bin ich nach Boston gegangen. Ständig war er mit seinem Löffel in meinen Töpfen. Da fehlt dies, da muss jenes dran. Kindchen, hast du keinen Geschmack? Einmal hätte ich ihn am liebsten in den Backofen gesteckt.“
Lydia lachte lauthals. Ihr liefen die Tränen herunter, und ihr war schrecklich warm. Immer noch lachend zog sie ihre Strickjacke aus und warf sie hinter sich aufs Sofa. Irritiert sah sie zu Noelle, die plötzlich nicht mehr lachte.
„Was ist das an deinem Handgelenk?“
„Oh! Das? Ich habe mich an einem Regal verletzt.“
„Um das ganze Handgelenk herum?“
„Ich bin in einer Schlaufe hängengeblieben. Nun mach kein Drama draus. Das kann passieren.“ Um genau zu sein, waren es Male von einer Fesselung. Paul stand total auf Bondage. Ihm so ausgeliefert zu sein und dann nach allen Regeln der Kunst zärtlich verwöhnt zu werden, hatte einen besonderen Reiz für Lydia. Diese Erfahrung war unglaublich. Das konnte sie Noelle natürlich nicht erzählen. Wie sollte sie ihrer Freundin begreiflich machen, dass sie sich dadurch nicht bedroht fühlte? Im Gegenteil! Paul machte diese Spiele durch den Widerspruch von Fesseln und Sanftheit zu einem wahren Rausch.
„Du musst mich nicht anlügen, Lydia. Eine Hautabschürfung an einem Handgelenk wäre mir vermutlich nicht einmal aufgefallen. Aber an beiden und so gleichmäßig? Ich bin kein Kind! Trotz allem, was ich erlebt habe, weiß ich, dass es Spielarten gibt, die nichts mit Gewalt zu tun haben.“
„Das würde dir nichts ausmachen?“
„Versprich mir eins: Wenn er zu weit geht, trau dich, um Hilfe zu bitten.“
Lydia sprang von ihrem Stuhl auf und riss Noelle in ihre Arme. „Du bist die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Es tut mir so leid, dass ich nicht hartnäckiger war.“
„Was meinst du?“
„Ich habe unzählige Male angerufen. Er hat immer behauptet, du wärst nicht da. Ich dachte, du bist im Restaurant, und als du nicht zurückgerufen hast, war ich beleidigt. Es tut mir so leid!“ Lydia brach in Tränen aus.
„Schhht! Ist ja gut. Woher hättest du wissen sollen, dass er verrückt ist? Mach dir bitte keine Vorwürfe.“
„Mache ich aber“, schluchzte Lydia. „Ich hätte dich besuchen sollen und dich da rausholen müssen.“
„Du hast mich bei dir aufgenommen, als ich es am dringendsten brauchte. Ich bin dir so dankbar.“
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Mann, ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe.“
Sie lagen sich in den Armen und begannen zu kichern. Wie früher , dachte Noelle.
Nur, es war eben nicht alles wie früher.
Sie waren erwachsen geworden, hatten schlimme und gute Erlebnisse gehabt. Noelle machte sich Sorgen um Lydia. All zu leicht konnte ein Spiel in Ernst umkippen. Aber sie mochte auch nicht danach fragen. Einmal hatte ihre Neugier Chaos hinterlassen. Ein zweites Mal würde sie das nicht riskieren. Das bedeutete zwar, dass sie ihre geheimsten Wünsche unterdrücken musste, doch das Risiko war ihr zu hoch. Und es gab einen weiteren, entscheidenden Grund, ihre unnormalen Gelüste zu unterdrücken: Simon. Auf keinen Fall würde Noelle diese gerade erst entstehende Liebe aufs Spiel setzen.
Lydia löste sich aus Noelles Armen, ergriff die Flasche Wein und ihr Glas.
„Komm, lass uns aufs Sofa lümmeln, und dann erzählst du mir endlich, wo du die ganze Nacht gesteckt hast.“
Noelle räumte das Geschirr zusammen.
„Lass das doch. Das können wir morgen machen.“
Noelle starrte das Geschirr an, als wäre es ihr persönlicher Feind. Wie sieht’s denn hier aus , hörte sie Tom schreien. Voller Verachtung legte sie das schmutzige Besteck auf die Teller, nahm ihr Glas und setzte sich zu ihrer Freundin. „Du hast recht. Das kann bis morgen warten.“
„Also! Warst du bei Simon?“
Noelle bekam einen roten Kopf.
„Scheiße, nein! Du hast mit ihm geschlafen?“
„Ja, und hör auf, so zu kreischen.“
„Das ist toll. Das ist es doch, oder? Ich meine, nach allem … Dass du da wieder …“
„Stammele nicht so rum. Ja, es ist toll. Die Therapeutin sagt zwar, ich soll nichts überstürzen, aber wenn ich ihn nun mal will … Er hat mich ja nicht dazu gezwungen.“
„Das wäre auch noch
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