Nördlich des Weltuntergangs
und auch nicht besonders gläubig sei. Seinen Sohn ließ er aber immerhin taufen. Das kleine Menschlein, das in den Schoß der Kirche aufgenommen werden sollte, war fast vier Jahre alt und machte ziemliches Theater, versuchte sogar zu flüchten, als ihm die Pastorin angeblich heiliges, auf jeden Fall aber kaltes Wasser auf den Kopf spritzte.
»Mach mir nicht den Kopf nass, verfluchte Hexe!«
Aus Tuirevi Hillikainens festem Griff gab es jedoch kein Entkommen, und das Bürschchen bekam den Namen Jussi.
Die Pastorin gründete am Ukonjärvi auch eine Schule. Anfangs hielt sie nur für die kleinen Kinder Sonntagsschule ab, doch bald zeigte sich, dass auch richtiger Unterricht erforderlich war. Die Kinder, die auf dem Gebiet der Stiftung wohnten, kamen in das Alter, in dem sie lesen und schreiben lernen mussten. Das Gesetz über die Schulpflicht galt nach wie vor im Land, und so ließ Tuirevi Hillikainen einen Raum im Pfarrhaus mit Bänken ausstatten und hielt täglich ein paar Stunden Unterricht. Küster Severi Horttanainen musste ebenfalls ein paar Fächer unterrichten, zum Beispiel Musik, Umweltlehre und Basteln.
Die energische Feldgeistliche – diesen Amtstitel aus ihrer Zeit in Vekaranjärvi hatte sie beibehalten – begann bald damit, auch Paare von außerhalb zu trauen. Wer etwas Besonderes wünschte, konnte zum Ukonjärvi fahren und sich gegen eine entsprechende Gebühr in der berühmten Kirche der Asser-Toropainen-Stiftung trauen lassen. Viele Prominente wie Taru Mällinen, die Zweite im Schönheitswettbewerb der »Sommermädchen«, oder Rauno Huotarinen, der den Titel des Tangokönigs nur um ein paar Stimmen der parteiischen Juroren verfehlt hatte, wurden von ihr getraut. Auch ein Neffe des früheren Direktors der Finnischen Bank wählte als Bühne für sein Hochzeitsspektakel den Tempel am Ukonjärvi. Seine Auserwählte war die Karaoketrainerin Jaanamari Pärssinen. Diese genannten Personen waren jedoch schillernde Ausnahmen in der großen Zahl schlichter Landleute, die im Laufe der Zeit zum Altar pilgerten und den eisernen Segen der Feldgeistlichen Tuirevi Hillikainen empfingen.
Durch die geistlichen Dienste flossen beträchtliche Geldsummen in die Kasse der Stiftung, was auch nötig war. In den letzten Jahren waren nämlich längst nicht mehr die großen Touristenscharen zum Ukonjärvi und Hiidenvaara gekommen. Generell war Tourismus kein Vergnügen der Massen mehr, und schuld daran waren die hohen Reisesteuern, die knappen Kassen der Bürger und der Treibstoffmangel. Eine Familie der Mittelklasse, etwa die eines Ingenieurs, konnte froh sein, wenn sie einmal im Jahr zur Oma aufs Land fahren konnte, um Kartoffeln zu ernten.
So war zwar der Strom der Besucher, bedingt durch die harten Zeiten, zu einem kümmerlichen Bach versickert, doch stattdessen meldeten sich immer mehr Leute, die sich am Ukonjärvi ansiedeln wollten, auch am Hiidenvaara und sogar in Kalmonmäki, das nun wirklich keine großen Zukunftsaussichten zu bieten hatte, nachdem Asser Toropainens ehemaliges Haus abgetragen und am Ukonjärvi als Pfarrhaus wieder aufgebaut worden war. Bis zu einem Dutzend Interessenten meldeten sich monatlich, und im ganzen Jahr waren es mehr als hundert. Die Begründungen waren manchmal herzzerreißend: Die Antragsteller beklagten, dass sie in den Städten im Süden des Landes regelrecht hungern mussten, da nach dem Reaktorunfall von St. Petersburg das Getreide knapp geworden war. In der Fernwärmeversorgung vieler Städte waren schwere Störungen aufgetreten; wegen des Energiemangels war die Temperatur in den Wohnblocks auf zwölf Grad abgesenkt worden. Warmes Wasser gab es im Allgemeinen nur einmal pro Woche. In manchen Städten war die Wärmezufuhr sogar für mehrere Wochen unterbrochen. Dann mussten sich die Bewohner in dicke Decken hüllen, und bei strengen Frösten brannten sie oft in den Parks Lagerfeuer ab. Schon mehrfach waren Babys und alte Leute erfroren.
Eemeli Toropainen hatte im Prinzip nichts gegen Zuzug einzuwenden. Der Mangel an geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten verhinderte jedoch Neuansiedlungen in großem Stil.
Ende des Jahres 1999 teilte Pastorin Tuirevi Hillikainen mit, dass die Einwohnerzahl am Ukonjärvi, mitgerechnet natürlich Grünberg am Hiidenvaara und das aussterbende Kalmonmäki, bereits auf über tausendzweihundert angestiegen war. Fast unbemerkt war Ukonjärvi zu einer bedeutenden Siedlung in der Gemeinde Sotkamo geworden. Langsam wurde es eng auf dem Land, das Asser
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