Nördlich des Weltuntergangs
Pastoren zu geben. Die knappen Kassen erlaubten den Kirchgemeinden nicht mehr, die Ämter voll zu besetzen. Das geistliche Personal war scharenweise in den Ruhestand versetzt worden, und ein großer Teil der anfallenden Aufgaben wurde auf Honorarbasis erledigt. Die Pfarrstelle am Ukonjärvi war nach langer Zeit die erste im ganzen Land, die neu ausgeschrieben wurde.
Unter den Bewerbern war eine ganze Anzahl gewöhnlicher Berufsprediger, aus deren Unterlagen zu schließen war, dass sie keine sehr gewichtige Botschaft zu verkünden hatten. Ferner gab es einige Laestadianer, die deshalb Seelenhirt in der Einödkirche werden wollten, weil sie gehört hatten, dass bei den Leuten dort die Verlockungen der Außenwelt kaum eine Rolle spielten. Ein paar Pastoren aus Ingermanland und aus Ostkarelien sowie zwei Laienprediger aus Tihvin hatten ebenfalls nach der Chance gegriffen. Der Rubel war seit langem gar nicht mehr an der Börse notiert, und die Wirtschaft Russlands befand sich in einem Zustand, den man ohne Übertreibung als höllisch bezeichnen konnte. Und schließlich bewarben sich auch zwei Militärgeistliche, ein Mann und eine Frau, Letztere, die in der Garnison von Vekaranjärvi tätige Tuirevi Hillikainen, erweckte Eemelis Interesse. Aus ihren Unterlagen ging hervor, dass sie ihre religiösen Kenntnisse an der theologisch-pathetischen Fakultät der Universität Helsinki erworben und ihre Lizenziatarbeit über die vorhandene oder nicht vorhandene Wechselwirkung zwischen Seele und Körper geschrieben hatte.
Eemeli Toropainen wählte aus den eingereichten Bewerbungen drei Kandidaten aus, die er zum Ukonjärvi einlud, wo sie eine Probe ihres Könnens geben sollten. Zum vereinbarten Termin erschienen ein fanatischer Laestadianer, ein Doktor der Theologie und die Feldgeistliche Tuirevi Hillikainen. Letztere hatte keinen Offiziersrang, sondern war aufgrund ihres Geschlechts durch eine Vollmacht zur Feldgeistlichen ernannt worden. Allerdings schien sie ohne weiteres das Zeug zum Offizier zu haben, wie gleich auf den ersten Blick zu erkennen war.
Eemeli Toropainen ließ die Anwohner informieren, dass sie am nächsten Sonntag möglichst in die Kirche kommen sollten, um den lang ersehnten Pastor auszuwählen. Drei Kandidaten seien eingetroffen, die die Gelegenheit bekommen sollten, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Am Sonntagmorgen strömte eine rekordverdächtige Anzahl von Menschen in die Kirche, sogar mehr noch als bei der Zwangsversteigerung. Neben den Anwohnern vom Ukonjärvi und dem Hiidenvaara kamen auch scharenweise Bewohner aus Kalmonmäki und vielen anderen Einödsiedlungen, sogar etliche aus Sotkamo. Die Kirche war fast voll, und da sie achthundert Plätze hatte, war die Anzahl der Besucher wirklich groß.
Alle waren neugierig und gespannt. Severi Horttanainen saß aufgeregt an der Orgel. Es war das erste Mal, dass er sein Können vor Publikum demonstrieren sollte. Gemurmel erfüllte den Kirchensaal, hier und da unterbrochen durch gedämpftes Husten. Horttanainen trat aufs Pedal, und ein machtvoller Choral ertönte. Die Menschen verstummten, um den dröhnenden Klängen zu lauschen.
Als Erster predigte ein junger laestadianischer Pastor aus Kolari, ein Mann mit einer schrillen Stimme. Er schielte ein wenig, was jedoch dem Tempo seiner Rede keinen Abbruch tat, in einem einzigen Schwall ergoss sich seine geistliche Botschaft über die punktende Gemeinde. Er wetterte gegen alles Weltliche, vor allem gegen die materielle Gier der Menschen. Seiner Meinung nach hätte Gott, wenn er gewollt hätte, dass die Menschen unersättlich nach Geld und nutzlosen Gütern streben, ihnen beim Schöpfungsakt einen speziellen Behälter für die Aufbewahrung all dieser Dinge zugedacht, ähnlich der Bauchtasche des weiblichen Kängurus. Da den Menschen ein solcher Behälter nicht von Natur aus gegeben war, stand fest, dass das unmäßige Raffen von irdischem Besitz kein gottgefälliges Verhalten war. Reformator Martin Luther drehte sich angesichts dieser Jagd auf den teuflischen Mammon vermutlich im Grabe um. Ein wenig atemlos beendete der Pastor seine Predigt und überließ die Kanzel dem nächsten Kandidaten.
Nun kam der Doktor der Theologie an die Reihe, ein junger Mann und Kenner der Exegetik, der über den Bibeltext, den er ausgewählt hatte, sehr gebildet, aber ziemlich trocken referierte. Er war besorgt um die Reinheit des christlichen Glaubens und lehnte jede Zusammenarbeit der christlichen Kirchen, also die
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