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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Platz nicht verlassen konnten, feierten sie weiter. In der mitternächtlichen Dunkelheit summten sie gefühlvolle Volkslieder oder schmetterten auch mal eine flottere Weise. Reden wurden gehalten, die Kame­ radschaft beschworen. Barmherzige Finsternis hüllte die Feiernden ein, und Taina Korolainen beendete allmäh­ lich den Ausschank.
    In der Nacht kam Wind über dem See auf. Die Wellen schlugen gegen die Ufersteine, die Baumwipfel bogen sich, schwarze Wolken verdunkelten den Himmel. Aus der Höhe war das Klirren von Ketten und das kräftige Schnarchen müder finnischer Arbeitsmänner zu hören.
    Es wurde Morgen. Die verschlafenen Helden hingen mit steifen Gliedern an der Firstlatte der Kirche, als der Schlüssel endlich auf natürlichem Wege wieder zum Vorschein kam. Der Gehilfe wusch ihn im See, und bald waren alle Männer frei. Sie gingen zu den Matolampis in die Sauna und nahmen erst am Nachmittag die Arbeit wieder auf. Verständlicherweise hatte niemand Lust, erneut nach oben zu klettern. Also wies Eemeli Toropai­ nen die Männer an, das Gelände für den künftigen Friedhof abzustecken. In der restlichen Zeit sollten sie das Fundament für die Mauer ausheben.
    Für den Friedhof waren tausend Grabplätze geplant. Der erste Tote, Asser Toropainen, lag, zum Umzug be­ reit, noch auf dem Friedhof von Sotkamo. Man brauchte aber noch viel mehr, fand Eemeli Toropainen. Es kam ihm irgendwie arm und künstlich vor, einen ganzen Friedhof für eine einzige Leiche anzulegen, auch wenn Asser Toropainen zu Lebzeiten für mehrere Männer gut war.
    Wie konnte man zu weiteren Toten kommen, um sie zu bestatten? Es starben ja genug Menschen, daran lag es also nicht. Aber die Angehörigen hingen natürlich an den Körpern ihrer lieben Verstorbenen und würden sie
    kaum für private Zwecke hergeben, jedenfalls nicht umsonst.
    Zimmermann Severi Horttanainen machte den Vor­ schlag, in Ermangelung von Toten auf dem neuen Friedhof Puppen mit menschlichem Aussehen zu begra­ ben. Er vermutete, dass man sie preiswert in Beklei­ dungsgeschäften bekommen könne, veraltete oder be­ schädigte Modelle, die nicht mehr geeignet waren, die neueste Mode zu präsentieren, die sich aber ausge­ zeichnet als Ersatz für Menschen bei Bestattungen eigneten. Man könnte jeweils einen großen Posten da-von, etwa hundert Stück, kaufen und in Massenbegräb­ nissen beisetzen.
    Sollten Eemeli die Schaufensterpuppen jedoch zu teu­ er sein, könne er, Horttanainen, nach Feierabend Vogel­ scheuchen in menschlicher Größe anfertigen. Für die könne man dann Särge zimmern und prachtvolle Be­ gräbnisse veranstalten.
    »Wir könnten traurige Reden halten und furchtbar weinen.«
    Eemeli Toropainen bat den anderen, den Mund zu halten. An diesem verkorksten Tag stehe ihm nicht der Sinn nach solchen Scherzen. Außerdem habe er, Eemeli, in dieser Frage ein gewisses Ethos. Er werde niemals in geweihter Erde Schaufensterpuppen, geschweige denn Vogelscheuchen bestatten. Abgesehen davon sei die Beschaffung von Toten kein wirklich dringliches Prob­ lem. Nun galt es erst mal, die illegale Kirche zu Ende zu bauen.
    7
    Auf der Baustelle am See wurde die Arbeit in beschleu­ nigtem Tempo fortgesetzt. Dazu zwang die Staatsgewalt: Für das Vorhaben lag auch bei Eintritt des Herbstes immer noch keine offizielle Baugenehmigung vor, und es war zu befürchten, dass die Polizei erneut versuchen würde, die Arbeiten zu stoppen. Das zumindest deutete der Kommissar von Sotkamo an, als er ein Bündel Buß­ geldbescheide zur Baustelle brachte, deren Gegenstand »das vorsätzliche Herabstoßen eines Polizeibeamten (Hauptwachtmeister Naukkarinen) vom Ort seiner Amtsausübung (Dachstuhl der Kirche) sowie die Verur­ sachung einer mittelschweren Oberschenkelverletzung bei dem Genannten« war. Für Eemeli Toropainen war eine Geldstrafe von dreißig Tagessätzen festgesetzt worden, für die Zimmerleute je zehn, mit Ausnahme des Gehilfen Taneli Heikura, der den Schlüssel verschluckt hatte; ihm hatte man »für das Verstecken eines bei der Tat verwendeten Metallgegenstandes« fünfzehn Tages­ sätze zugedacht.
    Die Medien verfolgten den ungenehmigten Kirchenbau mit großem Interesse. In den Inlandsnachrichten des Fernsehens, in den Tageszeitungen, sogar in einigen Illustrierten gab es Berichte über Toropainens Baupro­ jekt. Immer mehr Neugierige fanden sich auf dem Ge­ lände ein, manchmal behinderten sie regelrecht die Arbeiten. Die Kunde von den verhängten Bußgeldern

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