Nördlich von Nirgendwo – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
dem Tisch.
»Und der hat mir gesagt, ich brauchte ’nen Kaffee«, sagte ich.
»Psst, komm. Zeig mir, wo das Boot ist.«
Auf Zehenspitzen entfernten wir uns von dem Schuppen und gingen dann an Vargas’ Reihe entlang. »Das vorletzte da hinten.«
Als wir es erreichten, blieb Leon einen Moment stehen, um das Boot zu bewundern. »Das sieht verteufelt schnell aus. Einfach perfekt.«
»Komm, sehen wir, ob du es starten kannst.«
Wir stiegen an Bord. Ich hielt es für besser, wenn wir unsichtbar blieben, so setzte ich mich aufs Deck, während er sich an die Arbeit machte. Als erstes holte er eine kleine Taschenlampe heraus. »Hier«, sagte er, »halt die mal.« Ich leuchtete, während er mit einer Hand die Spitze des Picking-Set in die Zündung einführte und mit der anderen den Set bediente.
Fünf Minuten vergingen. Er wechselte die Spitze.
Fünf weitere Minuten. Er hielt einen Moment inne, um sich die Hände zu lockern.
»Ich will dich nicht hetzen«, sagte ich, »aber Dornröschen wird irgendwann wach und wundert sich, wieso wir nicht mit Vargas zurückgekommen sind.«
»Ich weiß. Laß es mich noch mal versuchen.«
Er arbeitete weitere fünf Minuten am Zündschloß. »Verdammt«, sagte er, »verdammt und verdammt.«
»Was ist mit der Kabinentür? Vielleicht hat Vargas drinnen einen Ersatzschlüssel.«
»Na gut, versuch ich’s mal mit der«, sagte er. »Verdammt!«
Er ging zur Doppeltür der Kabine und führte das Dings ein. Vibrator, Spitze, eine Zuhaltung. Der Griff ließ sich drehen. »Klar, die kann ich«, sagte er.
Wir klappten eine der Türen nach innen und gingen nach unten. Der erste Raum war eine kleine Kombüse mit jeder Menge Regalen und Fächern. »Du siehst hier nach«, sagte ich. »Ich schau mal in den anderen Raum.«
Davor war eine weitere Doppeltür. Als ich sie öffnete, erwartete ich dahinter die Schlafkojen liegen zu sehen. Aber das war es nicht, was mich erwartete. Was ich sah, waren Kartons. Vom Boden bis zur Decke nichts als Wellpappekisten.
»Leon, komm mal her.«
»Warte, ich habe ja gerade erst angefangen.«
»Komm her.«
Er unterbrach das, was er gerade tun mochte, und steckte den Kopf in den Raum. »Was ist das fürn Zeug?«
»Elektrogeräte. Stereo-Anlagen, Mikrowellen. Die großen Kartons zuunterst sind entweder Kühlschränke oder Herde.«
»Was macht er damit? Bringt er die nach Kanada?«
»Er hat mir diesen tollen Vortrag bei der Pokerrunde gehalten. Wie seine kanadischen Kunden beim Zoll bluten müssen, wenn er über die Grenze liefert. Ich denke mir, daß er gegen genügend Bargeld die extrem teuren amerikanischen Geräte durch die Hintertür anliefert. Blondie hat gesagt, er kennt Vargas und kennt seine Masche. Ich glaube, wir stehen soeben davor.«
»Na klar«, sagte Leon. »Wenn er einen kanadischen Hafen anläuft, muß er die gelbe Quarantäneflagge hissen und an Bord die Zolleute nachsehen lassen, was er da so hat. Aber der See ist verteufelt groß. Er kann mit dem Ding hier praktisch überall landen.«
»Das erklärt die Doppeltüren. Wohl auch maßgeschneidert, damit das Zeug durchpaßt.«
»Er muß mit dem Boot runter nach Petoskey fahren und dort die Ladung an Bord nehmen. Aber wieso läßt er sie dann über Nacht hier? Ziemlich riskant.«
»Das Wetter«, sagte ich. »Denk an gestern morgen. Sah ganz so aus, als ob sich ein Sturm zusammenbraute. Ich wette, da hat er die Fahrt abgebrochen.«
»Das macht in der Tat Sinn.«
»Dann holen wir mal die Schlüssel. Die Zeit läuft uns weg.«
»Wieso, willst du …«
»Wir können ihn jetzt unter Druck setzen«, sagte ich. »Los, wecken wir deinen ehemaligen Klienten.«
Kapitel 21
Gegen fünf Uhr rollten wir in Vargas’ Einfahrt. Der Himmel begann sich soeben am östlichen Horizont einzufärben. Ohne Schlaf, mit dem Bild der noch brennenden Hütte im Kopf und Jackies Stimme am Telefon lief ich nur noch auf Adrenalin. Mich darum zu kümmern blieb reichlich Zeit, wenn wir erst einmal alles hinter uns hätten. Falls ich überlebte.
Ich klopfte an Vargas’ Eingangstür. Wie wir da standen und warteten, fiel mir der Abend ein, an dem Jackie und ich an genau derselben Stelle gestanden und gewartet hatten, daß uns Vargas zum Pokerspielen hineinbat. Irgendwo drinnen hörten wir das vertraute Kläffen des schärfsten Chihuahuas der Welt.
Mrs. Vargas kam an die Tür; sie trug einen Bademantel, steckte den Kopf durch den Türspalt und hinderte mit dem Fuß den Hund am Herausstürzen. »Alex«, sagte sie,
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