Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Länder haben in Deutschland investiert, sie haben Videos und Kassetten unter den Türken hier verteilt, die sie dazu bringen sollten, Islamisten zu werden. Das führte dazu, dass die Identität der Türken in Deutschland eine komische Entwicklung genommen hat – sie haben die arabische Identität angenommen, obwohl das eigentlich etwas Fremdes war.«
Als Al Page seine dritten oder vielleicht vierten Kaffee austrank, beugte ich mich vor und stellte ihm eine Frage, die mich schon lange beschäftigte: »Nicht nur von den Türken höre ich immer wieder Kritik an den Deutschen, auch von anderen Ausländern. Ich mache es ja auch«, flüsterte ich. »Selbst die Deutschen ziehen die ganze Zeit über ihr eigenes Land her. Doch wir bleiben alle. Wieso?«
Al blickte sich vorsichtig um.
»Ich kann nur sagen, ich mag es hier«, wisperte er. »Wem es nicht gefällt – ob türkisch oder deutsch – soll gehen.«
6 . Jammern für die Jeinheit
Wieso heißt es eigentlich Jammerossi und nicht Jammerwessi?
Es geht eine tiefe Kluft durch das Land. Ein unüberbrückbarer Unterschied trennt Westdeutschland von Ostdeutschland, ein Unterschied, der so subtil und doch so folgenreich ist wie der zwischen Hund und Katze. Das Land, vermeintlich einig, wird in Wahrheit durch ein steiles Nörgelgefälle getrennt, und es ist nicht abzusehen, dass dieses Gefälle jemals überwunden wird.
Westdeutsche nörgeln, Ostdeutsche jammern.
»Ich erzähl dir mal ein Beispiel«, sagte mir Tim H., Journalist, ehemaliger Bürger der DDR und Experte für berechtigte Einwände, als ich ihn in seiner schönen, mit Büchern angefüllten Altbauwohnung in Berlin (Ost) bekniete, mich endlich über die Unterschiede zwischen Ost- und Westmeckern aufzuklären. »Wir saßen mal zu viert in einem Restaurant irgendwo in Ungarn – meine Wessi-Freundin, ich und noch ein Ossi-Paar. Die Suppe war zwar unter aller Sau, völlig eklig, aber es gab Wein, es war nett, wir plauderten und es ging uns gut. Nur Aimée nörgelte herum. ›Das ist ja eklig hier!‹ Die ganze Zeit. Endlich platzte meinen Freunden der Kragen: ›Kannst du nicht aufhören zu nörgeln? Natürlich schmeckt es eklig, was hast du erwartest? Wir sind in Ungarn. Und jetzt verdirb nicht den ganzen Abend!‹«
»Also, du willst sagen, Ossis nörgeln nicht, weil sie autoritätsgläubig sind?«, fragte ich.
»Ich wusste, dass du das sagen würdest«, krähte er triumphierend. »Das interpretieren alle Wessis so, sie können nicht anders. Aber es hat gar nichts damit zu tun. Wer in der DDR aufgewachsen ist, ist in der Lage, unangenehme Dinge zu verdrängen. Das ist ganz tief in mir drin. Aus der schlechtesten Situation können wir das Beste machen. Wenn in einem Restaurant das Essen ganz schlecht ist, beschwert sich der Wessi lautstark, wir nicht. Wir wissen, man kann es sowieso nicht mehr ändern, es ist einfach eklig. Es gibt aber Wein, es gibt gute Gesellschaft – warum sollen wir uns jetzt deswegen die Laune verderben?«
Das leuchtete mir ein. Aber Aimée, einer Künstlerin aus Westdeutschland und selbst gewiefte Stichelexpertin, überhaupt nicht.
»Das hat nichts mit Ossi/Wessi-Unterschieden zu tun«, stellte sie klar. »Tim ist harmoniesüchtig als Person und konfliktscheu als Mann. Ich bin ein sehr extrovertierter Mensch und ziehe einen ordentlichen, reinigenden Streit einer langen Depression vor. Ich muss eine italienische Großmutter haben – ich kann mit Tellern werfen und mich hinterher entschuldigen, wenn ich getroffen habe. Ein Streit ist für mich nicht negativ belegt. Deshalb liebe ich mein Gegenüber nicht weniger. Ich weiß aber nicht, ob das ein Charakterzug von Wessis oder von Frauen überhaupt ist oder nur von mir.«
Auch wenn Aimée glaubte, sie interpretiere Tims Verhalten richtig, und er sein eigenes falsch, gibt sie zu, dass Wessis Ossis oft falsch verstehen. »Es gibt ein deutsch-deutsches Sprachproblem«, sagte sie. »So kommt es zu vielen Missverständnissen. Direkt nach der Wende habe ich hier im Osten zu meiner großen Verblüffung die Beobachtung gemacht, dass die Leute Schwierigkeiten hatten, überhaupt ihre eigene Meinung zu äußern. Wenn man in kleiner Runde diskutierte, zögerte der Ossi, ein Ich vorzubringen. Er hat immer nur über uns und wir gesprochen, um scheinbar altruistisch über das Ganze zu diskutieren. Schon wenn man über die eigenen Lebensziele spricht, ist es für einen Wessi vom Konzept her einfacher, zu sagen, ›ich will im Leben dies und das
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