Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Nachmessung meines Schreibtisches an, dass dieser nach den Arbeitsschutzrichtlinien zwei Zentimeter zu niedrig ist und ersetzt werden muss.‹ Darauf musste er auch ersetzt werden. Dann ging sie ans nächste Projekt.«
Ulrike B. aus Berlin, Kindergartenleiterin und Quengelkennerin, erzählte, wie ihre Untergebenen es immer irgendwie schafften, alles, was sie vorhatte, auf unerschütterliche Weise zu torpedieren: »Wenn du irgendwo neu hinkommst mit der ausdrücklichen Anweisung deines Chefs, bestimmte neue gesetzliche Regelungen im Kindergarten einzuführen, die auch wirklich Sinn machen, die also alles modernisieren und vor allem den Kindern zugutekommen – da hast du keine Chance. Schon bevor du alles erklärt hast, was das ist und wozu, hörst du von den Angestellten: ›Früher war alles besser, bisher hat sich doch keiner beschwert, warum sollen wir das denn jetzt ändern?‹ Sie halten alles grundsätzlich für Schikane. Und tun es einfach nicht. Nach dem Motto: ›Wir sind jetzt schon so alt und haben so viele Veränderungen mitgemacht, und am Ende läuft es doch wieder aufs selbe hinaus.‹«
Allerdings soll man nicht vergessen: Auch Chefs beherrschen die Strategie des Rummäkelns.
»Ich nörgele, um etwas voranzubringen«, gestand Christian Männchen, Geschäftsführer eines mittelständischen Computer-Beratungsunternehmens in Frankfurt am Main, als ich ihn über seine geheimen Taktiken ausfragte. »Jawohl, ich bin bekannt dafür, dass ich ständig den Finger auf die Wunde lege, auf falsche Prozesse oder schlechte Entscheidungen oder wiederholte Fehler. Das regt mich auf, da kritisiere ich und sage, ›Leute, das geht doch besser‹. Ich tue das nicht, weil ich denke, ich würde alles besser wissen, sondern weil ich die Hoffnung nicht aufgebe, es könnte besser werden, und die Leute könnten sich auf lange Sicht ändern. Ich sage meine Meinung auch dann, wenn ich nicht gefragt werde, dafür bin ich bekannt. Aber ich denke, dass man das auch von mir möchte.«
Will man aber im Büro einen wirklich guten Nörgelresponse erzielen, muss man die Verwirrung im Betrieb einfach ins Unermessliche steigern. Mehr Bürokratie geht immer.
»Qualitätsmanagement ist der schlimmste Auswuchs des Betriebswesens«, schimpfte Sandro C., Chefarzt an einer Berliner Klinik, als wir uns in seinem Wochenendhäuschen in Brandenburg trafen und bei einem Nackensteak über das Nörgeln in Krankenhäusern diskutierten. »Der ursprüngliche Sinn, als das eingeführt wurde, war, komplexe Abläufe besser darzustellen und sie so übersichtlicher zu machen. Prozesse sollen dadurch verlässlicher und effizienter ablaufen. Es gibt dann Planungen, Checklisten und Beurteilungen und so, alles in Zyklen gepackt, jede Phase mit einer neuen Dokumentation. Eigentlich soll alles dank des Qualitätsmanagements besser funktionieren, doch es gibt inzwischen so viel Bürokratie, dass alles, aber auch wirklich alles schriftlich niedergelegt werden muss, wodurch man unheimlich viel Zeit verliert und sich nur noch gegängelt fühlt. Drei ganze Stellen wurden dafür bei uns im Krankenhaus blockiert – das sind drei Mitarbeiter, die tun nichts als Vorschriften erstellen.«
Doch es soll hier kein falscher Eindruck entstehen. Es ist nicht so, dass man in deutschen Betrieben den lieben langen Tag nichts anderes tut als sich übereinander zu echauffieren. Nein, nein, ein Großteil der Zeit von Chefs wie Kollegen geht dafür drauf, über die Kunden zu nörgeln.
»Wollen Sie wissen, wer die schlimmsten Nörgler der Welt sind?«, fragte Computerfachmann Heinrich T., der bei schwierigen Fällen auch Telefonsupport macht. »Unsere Kunden! Sie sind immer so empört, wenn etwas schief geht. Dabei ist es für mich ein Wunder, wenn das Ding überhaupt funktioniert. Haben Sie eine Ahnung, wie kompliziert ein Computer heutzutage ist? Ich denke jedes Mal, wenn meine Kiste auch nur hochfährt, ›wow!‹. Wir Entwickler gehen grundsätzlich davon aus, dass eine Software voller Fehler ist. Es geht nicht anders. Das versteht der Kunde aber nicht. Wir entwickeln Software im medizinischen Bereich, meine Kunden sind Ärzte. Die haben eine ganz andere Beziehung zu Fehlern. Wenn sie mal Scheiße bauen, dann aber richtig. Wenn ein Softwareentwickler einem Mediziner sagt, dass Fehler zum Alltag gehören, fällt der vom Stuhl vor Entsetzen.«
Es stimmt natürlich schon, dass der Kunde König ist, selbst in Deutschland. Aber es gibt Könige und es gibt Könige. Der Kunde hat
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