Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Lebens wie Sex, Drogen, Kneipenschlägereien und das wahllose Treten von streunenden Hunden vielleicht verzichten, kann ich noch glauben, aber aufs Nörgeln? Was ist das für ein Leben? In dem Bemühen um Aufklärung sprach ich mit Teresa U., Pfarrerin aus Gelsenkirchen und Expertin im Bereich spirituelles Gemäkel.
»In einer Kirchengemeinde läuft vieles genauso wie in einem Verein«, stellte sie klar. »Jeder Kollege ist überzeugt, dass nur er weiß, wie Kirche geht, und alle anderen wären zu beschränkt, das zu kapieren. Glauben Sie mir, Spiritualität ist das Einzige, was Kirchen von anderen Vereinen unterscheidet. Jeder ist immer überzeugt, dass nur er etwas richtig machen kann, aber leider hat er überhaupt nicht die Zeit, es zu tun.«
Vielleicht zieht eine Kirchengemeinde besonders Menschen an, die ihren Status nicht in Reichtum oder Schönheit suchen, sondern in moralischer Überlegenheit.
»Es gibt immer welche, die das Wort ergreifen und betonen, ›wir haben nicht an linkshändige, alleinerziehende Vegetarier gedacht‹«, erzählte Teresa U. »Das ist der Jammerer, der sich einsetzt, um ein guter Mensch zu sein, der beweisen will, dass er an jemanden denkt, den die anderen vergessen haben. Das ist jemand, der ständig wieder darauf aufmerksam machen muss, dass immer noch nicht umgesetzt wurde, dass alle den fair gehandelten Kaffee trinken, den er trinkt.«
Das Schöne an dem Genörgel in einer Kirchengemeinde ist, dass es auf einem etwas höheren Niveau angesiedelt ist.
»Man nörgelt, als ob man ein Psychogramm über jemanden erstellt. Man behauptet zum Beispiel, dass ein Kollege ein Zwangscharakter sei. Es sei unmöglich, mit ihm zusammen einen Gottesdienst zu machen. Natürlich nicht, weil man ihn nicht mag, sondern, weil er so dogmatisch ist und sich so sklavisch an die Ordnung hält, dass es bei ihm keine Spielräume mehr gibt.«
Wenn es schon unter Geistlichen so hoch hergeht, wie ist es dann in anderen Berufen mit einer hohen Reputation? Diese fordern ja oft alles von einem. Es wäre nur logisch, dass man besonders in Berufen, wo man unter Hochdruck arbeitet, auch mit Hochdruck lamentiert. Wenn nicht gar ab und zu zetert, haut oder schießt. Also rief ich einen Weihnachtsmann an.
Der Deutsch-Chinese Hu-Ping Chen ist Berlins berühmtester Weihnachtsmann. Am Heiligen Abend und den beiden Weihnachtsfeiertagen besucht er jeweils bis zu zehn Familien, und dafür muss er einen strengen Zeitplan einhalten. Da kann einiges schief gehen.
»Na ja«, sagte er, »Weihnachtsmänner nörgeln schon mal, wenn sie am Heiligen Abend von riesigen Bergen von Geschenken überrascht werden, die sie in der Familie verteilen müssen, weil sie nicht so viel Zeit pro Familie haben. Einmal bin ich hingekommen und die Treppe vor der Tür war voller Geschenke, ich kam gar nicht an die Klinke, das waren so um die hundertzwanzig Päckchen.«
»Was haben Sie getan?«, fragte ich erwartungsvoll. »Kehrt gemacht? Geschimpft? Die Rute rausgeholt?«
»Ach was, irgendwie ist es trotzdem gegangen.«
»Es muss doch mehr Unbillen geben«, beharrte ich.
»Na gut, ab und zu meckern die Kinder.«
»Undankbare Bengel!«, entfuhr es mir.
»Es kommt vor, dass ein Kind sagt, ›du bist nicht der Weihnachtsmann‹ oder ›den gibt’s doch gar nicht.‹ Da sagt man einfach, ›na, dann kann ich ja wieder gehen und die Geschenke mitnehmen.‹ Dann lassen sie sich doch überzeugen, dass es den Weihnachtsmann gibt.«
»Sie müssen doch ab und zu richtig in die Luft gehen«, hakte ich nach, »bei all dem Erwartungsdruck.«
»Es gibt schon mal Leute, die unter wahnsinnig viel Stress stehen, trotzdem sind die meisten eigentlich sehr freundlich. Die Kinder sind total fasziniert und die Erwachsenen werden wieder zu Kindern. Wenn ich sie nur an Weihnachten sehen würde, würde ich sagen, die Deutschen sind ein wunderbar liebevolles, friedvolles Volk.«
Ich legte auf, doch ein klitzekleines bisschen enttäuscht. Von einem Weihnachtsmann hätte ich schon mehr böse Worte erwartet.
Es war ein langer Tag voller Gespräche gewesen. Inzwischen war es dunkel geworden. Ich blickte auf zu den Sternen und wollte schon Feierabend machen, da fiel mir etwas ein.
Ich rief Thomas Reiter an, der Vorstand für Raumfahrtforschung und -entwicklung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln ist – und ein Astronaut, der auf der Mir und auf der Internationalen Raumstation gearbeitet hat. Ich freute mich schon darauf, einen richtigen
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