Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
nebenbei machen kann?‹ Als ob mein ›Mäuschen‹ keinen Lohn verlangt. Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Stellenanzeige in der Zeitung lesen, ›Mäuschen mit Buchhaltungskenntnissen gesucht, das Zeit hat und für mich was nebenbei ganz umsonst macht‹.«
Damian M. weiß, dass die allermeisten Menschen Steuerberatung nur als notwendiges Übel empfinden.
»Das ist mein Problem als Steuerberater, ich verkaufe eine Leistung, die keiner haben will. Wenn jemand einen Mercedes bestellt, dann freut er sich auf das Produkt. Aber über meine Arbeit freut sich niemand. Sie fragen mich: ›Wie kann ich Steuern sparen?‹, und ich antworte: ›Ich schreibe Ihnen einfach eine hohe Rechnung für meine Arbeit, und die können Sie absetzen.‹ Das finden sie nicht witzig.«
Es gibt wohl kaum eine andere Branche, wo die Kunden so viel nörgeln wie in der Psychologie.
»Depression ist eine Nörgelkrankheit«, seufzte die Psychotherapeutin und Jammerkennerin Babsi K., als wir uns in der Schöneberger Akazienstraße trafen. »Die Patienten kommen aus ihrem Nörgelkreislauf nicht mehr raus. Sie sind von ihrer negativen Sicht auf die Dinge völlig ermattet. Sie können dann selbst nichts mehr verändern, dadurch ist für sie alles negativ. Da hilft nur eines: freundlich, aber unermüdlich in den Hintern treten.«
Babsi K. weiß, warum die Leute zu ihr kommen: »Sie betreten die Praxis und denken, wer ein guter Patient ist, muss leiden. Die sind dann immer ganz erstaunt, wenn ich wissen will, was denn gut ist in ihrem Leben. Da sind zum Beispiel die Frührente-Typen. Jammern für die Rente! Die haben einen Antrag unter anderem wegen berufsbedingter Depression laufen, müssen dann eine Therapie machen, die möglicherweise dazu führt, dass es ihnen besser geht, und sie doch keine Frührente brauchen. Aber diese Typen dürfen mir ja gar nicht sagen, dass es ihnen besser geht, denn sie wollen und brauchen ihre Rente. Sie sind auch oft körperlich nicht mehr arbeitsfähig. Also jammern sie mir vorsichtshalber die Ohren voll.«
Dazu kommt der beliebte moderne Mythos, dass es ungesund sei, nicht sofort jede Verstimmung, Kritik und sonstigen Ärger rauszulassen – sonst frisst man es in sich hinein und wird von innen krank. Nach vielen Jahren als Psychotherapeutin stellt Babsi K. diese Volksweisheit in Frage.
»In einer Gruppe chronischer Schmerzpatienten, die ich betreute, war ein Holzfäller, dem drei Fingerkuppen fehlten und ein Stück vom Ohr. Der sagte: ›Wenn ich mir einen Finger abschneide, binde ich mir was drum und arbeite weiter, da stell ich mich nicht an.‹ Neben ihm saß ein Patient, der auf den ersten Blick körperlich intakt war, der aber ständig gejammert hat. Unerträglich war das. Er sagte, man müsse doch alles rauslassen, sonst ginge es nie weg. Aber er jammerte seit Jahren und sein Leid ist nie weggegangen. Als er merkte, dass es nichts half, jammerte nur noch mehr. Er dachte wohl, er müsse nur noch einen Zacken zulegen, bis alles raus sei. Als wir ihn darauf aufmerksam machten, dass er damit nichts erreicht außer alle zu nerven, sagte er erstaunt: ›Komisch, das sagt meine Frau auch immer.‹«
Das Paradoxe am Beruf des Psychologen ist, dass man vom Patienten erwartet zu nörgeln, aber nicht zurücknörgeln darf. Das macht einem natürlich schon zu schaffen.
»Therapeuten haben ein erhöhtes Depressionsrisiko«, berichtete ein anderer Psychotherapeut, Harald S. aus Cottbus. »Einfach deshalb, weil es neunzig Prozent aller Leute, die sie kennen, scheiße geht. Man braucht eine innere Distanz zu den Problemen der Patienten, sonst ist dieses Genörgel total schwierig auszuhalten. Nicht umsonst haben Therapeuten eine erhöhte Suizidrate.«
»Wie hält man die Distanz?«, wollte ich wissen.
»Humor«, gestand er. »Wenn wir uns nach der Arbeit unter Kollegen austauschen, geben wir den Patienten schon mal Spitznamen. Ich zum Beispiel habe einen, der total auf Fastfood steht. Das ist ›Bulettchen‹. Und die, die ständig von ihrer Katze schwärmt, heißt ›Mausi‹. Ein Kollege hatte mal eine, die regelmäßig aufs Klo musste, wenn das Gespräch auf ihre Mutter kam. Die taufte er ›Töpfchen‹.«
Das Schönste am Nörgelforschen sind die Überraschungen, die man tagtäglich erlebt. Von einem Geistlichen zum Beispiel würden die meisten Menschen erwarten, dass er zu abgeklärt ist, solch niedere Genüsse zu pflegen. Doch jetzt mal ehrlich: Dass Priester oder Pastoren auf solch einfache Freuden des
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