Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
das ist Chaos mit nur einem Aufseher. Dieser Zustand ist für den Menschen unnatürlich und unerträglich. So muss der Einzelne innerhalb der gesichtslosen Masse von Büroangestellten seinen Status selbst erarbeiten, und das geht nur durch gezieltes Sticheln, Mäkeln und Mauern und anderen die Luft rauslassen.
»Das größte Nörgelphänomen in Deutschland ist das Nörgeln über die eigene Arbeitsbelastung«, klagte David P., Referent bei einer großen staatlichen Wissenschaftseinrichtung in Düsseldorf und Freizeitnörgelforscher. »Die Leute arbeiten zwei Stunden am Tag, aber wehe, sie sollen eine Akte von einem Kollegen übernehmen. Je weniger Arbeit man hat, desto überlasteter fühlt man sich. Am Schlimmsten ist es in öffentlichen Einrichtungen. An der Uni, an der ich studiert habe, da hing an der Tür zum Sekretariat einer Professorin ein Schild: ›Klopfen zwecklos, wir öffnen nicht‹. Am Ende hatte die Sekretärin selbst Sprechzeiten – eine Stunde pro Woche.«
Es gibt viele Arten, den eigenen Status zu erwimmern. Wer im Nörgelkonkurrenzkampf nicht so glaubhaft über Arbeitsbelastung klagen kann wie der Kollege, kann sich auf anderen Gebieten hervortun.
»Bei uns im Büro gibt es richtige Krankheitswettbewerbe«, enthüllte David P. »Migräne ist immer ein Killerargument. Ich kenne einen Kollegen, der zelebriert es richtig. Jeden dritten Tag, wenn er länger arbeiten muss, stöhnt er warnend in die Runde, ›ich spüre es schon, ich spüre es schon‹. Die andere hat einen Bandscheibenvorfall. Wenn ein Dritter ankommt und sagt, ›ich habe Rückenprobleme‹, dann schreien alle, ›das ist schon besetzt, du musst dir was anderes einfallen lassen!‹«
»Eine gängige Methode ist es, sich über Kollegen zu beklagen, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken«, ergänzte Richard D. »Und das funktioniert unterschiedlich, je nachdem, wo man in der Hierarchie steht. Auf den unteren Ebenen nörgelt man oft wegen Ungleichbehandlung: ›Warum muss ich mehr als der andere arbeiten?‹ Bei den höheren Hierarchien geht es mehr um Konkurrenzdenken: ›Warum wird der befördert, und nicht ich? Wieso darf der auf Messen repräsentieren und attraktive Vorträge halten und ich nicht?‹ Allerdings bewirkt das Nörgeln allein keine Änderung. Auf den unteren Ebenen erwartest du ja auch keine Änderung, nur weil du mal vor dich hin nörgelst. Wenn du aber an deine Karriere denkst, musst du dich bei wichtigen Personen in ein besseres Licht rücken. Manche Leute auf den höheren Ebenen machen das sehr strategisch. Die setzen dann ein eher zielgerichtetes, dezentes, pointiertes Nörgeln ein. Dazu gehört auch: Zu wem bin ich freundlich, mit wem mache ich Mittagspause, mit wem die Dienstfahrten, neben wen setze ich mich im Bus bei Betriebsausflügen? Zum Glück hat man das ja alles schon in der Schule gelernt.«
Manchmal führt kein Weg daran vorbei: Im Kampf um den eigenen Status unter Gleichgestellten muss man auch mal den Mut haben, persönlich zu werden. »Wenn dir die Leute beruflich nichts anhaben können, durchforsten sie dein Privatleben«, plauderte David P. aus dem Nähkästchen. »Wie geschmacklos du zu Hause eingerichtet wärst, und dein Auto sei wohl eine Penisverlängerung? Und wenn sie mit dir fertig sind, nehmen sie deine Frau und deine Familie auseinander. ›Kennen Sie den Mann von der Soundso? So ein Versagertyp, und die Frau, die trinkt doch – klar, bei so einem Mann.‹ Betriebsfeiern sind toxisch für so was, weil die Leute Zeit haben, sich auszutauschen. Bei solch einer Feier erzählte mir mal einer von sämtlichen Krankheiten meines Chefs bis hin zu dessen Prostataoperation, kurzum alles, was ich nicht wissen wollte. Immer, wenn ich meinen Chef seitdem sehe, denke ich: Der hat keine Prostata mehr.«
Nicht nur in Ämtern wird um den Status gequengelt, auch auf der freien Job-Wildbahn, wo man keinen klassischen Chef hat, dafür umso mehr Konkurrenten auf gleichem Niveau. Nehmen wir das Fernsehen:
»Als Drehbuchautor mäkelt man über die Schauspieler, Produzenten, Regisseure und Redakteure«, grummelte der Tatort -Autor und Nörgelgourmet Frederick C. aus München am Telefon. »Alle sind sie unfähig, außer natürlich dem Autor, dessen Drehbuch nicht verstanden wird. Klassische Stammtischgespräche bei Drehbuchautoren gehen grundsätzlich darum, dass die Redakteure in den Sendern feige sind, die falschen Stoffe wollen und nur an ihren Posten kleben.«
Auch Schauspieler wehklagen, um
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