Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
vielleicht die finanzielle Hoheit, aber leider hat die Firma das überlegene Fachwissen. Das kann der Kunde so nicht auf sich sitzen lassen. Was folgt, ist ein tägliches, ewig wiederkehrendes Ringen um die Hoheit des Besserwissens.
»Die Schlimmsten sind die Vielflieger, die alles besser wissen als man selbst«, erinnerte sich Lily C., Purser und Kabinenchefin bei der Lufthansa. »Was Anschlussflüge betrifft zum Beispiel, da meckern sie besonders gern: ›Erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich für mich erkundigen, ob der Anschlussflug noch zu erreichen ist, Sie tun es ja doch nicht.‹ Oder wenn man sie bittet, den Laptop auszuschalten: ›Das erzählen Sie doch nur, den mache ich nicht aus‹; oder wenn man nicht mehr herumlaufen darf, meinen sie: ›Erzählen Sie mir nichts, das ist Quatsch.‹«
»Diese Starrsinnigkeit!« schimpfte Adele G. »Manche Kunden beharren auf Dingen, die gegen jede Logik sind. Wenn sie beispielsweise ein Logo wollen, das ästhetisch überhaupt nicht zu ihrem Produkt passt. Ästhetische Entscheidungen werden nicht dem Fachmann überlassen, sondern irgendwelchen Bekannten. Nur sehr wenige verstehen, dass man auf die Uni geht, um so was zu lernen.«
»Ich kenne eine Zahnärztin, die hat in ihrer Praxis eine Fluchttreppe einbauen lassen, über die sie unbemerkt die Praxis verlassen kann, ohne am Wartezimmer vorbei zu müssen«, erzählte mir David P. »Ihre Patienten, die noch im Wartezimmer auf sie warten, glauben dann die ganze Zeit, sie sei noch in einem der Behandlungszimmer, dabei ist sie längst weg. Sie hat mir die Treppe mit folgenden Worten gezeigt: ›Wollen Sie das Beste an meiner Praxis sehen?‹«
Kunden nörgeln aber nicht nur deswegen, weil sie einen grundsätzlich von der Arbeit abhalten wollen, oder weil sie die Ware nicht mögen. Es ist auch ein bewährtes Instrument der Preisgestaltung.
Es heißt, in Deutschland sei die uralte Kunst des Feilschens ausgestorben. Wie falsch das ist, kann jeder bezeugen, der jemals in einem der sogenannten kreativen Berufe wie Drehbuchschreiben, Graphikdesign oder Werbetexten gearbeitet hat. Hier kann man dem Ergebnis oft nicht ansehen, wie viel Arbeit darin steckt. Während es jedem einleuchtet, dass er für ein 400 000-Euro-Auto, für ein milliardenschweres Ministeriumsgebäude oder für zehn Minuten mit Dita Von Teese auf dem Wiener Opernball die geforderte Summe ohne Beanstandung hinblättern muss, entstand in diesen Berufen etwas, was manche den »Aber-das-hätte-doch-meine-Sekretärin-machen-können«-Effekt nennen.
»Der Preis für die Gestaltung ist oft ein Schock für die Kunden«, sagte Adele G., die ihr Geld damit verdient, für Unternehmen Logos, Prospekte und Werbekampagnen zu gestalten, als ich sie über die Klagen der Kunden ausfragte. »Bei der Auftragsankündigung wurde noch getönt: ›Das ist ein Bombenauftrag!‹ Nennt man den Preis, fällt der Kunde um oder behauptet: ›Das kann ich mir nicht leisten.‹ Der Preis wird gedrückt und gedrückt. Dann sagt er, ›meine Frau, mein Freund, mein Kollege, mein Bekannter meint auch, dass dies oder das anders sein sollte‹. Ganz typisch ist: Wer am wenigsten bezahlen will, mäkelt am meisten. Diese Leute wissen nicht, worauf sie bei der Graphik achten müssen, also glaubt jeder, dass er was davon versteht. Oder sie sind schlicht dreist. Sie wissen, dass du als Freiberufler auf Aufträge angewiesen bist, da kommen sie mit: ›Wenn du den ersten Auftrag ganz billig machst oder gar umsonst, sind wir dicke Freunde und du kriegst später viele Folgeaufträge für viel Geld.‹ Die Folgeaufträge kommen natürlich nie, weil sie das dem nächsten Freiberufler auch versprechen. Das sagt kein Kunde morgens zur Bäckerin, wenn er Brötchen einkaufen geht, oder? Das ist die Königsklasse.«
Aber das funktioniert nicht nur in den kreativen Berufen – es gibt eine ebenso schwierige Kategorie von Professionen, die man »die unbeliebten Berufe« nennen könnte.
»Die Leute verstehen grundlegende Dinge nicht, die wir machen«, klagte Damian M., Steuerberater und Nörgelkenner in Karlsruhe, und ich glaubte ihm das gern. »Sie denken, das ist keine richtige Arbeit, was wir tun. Eigentlich müsste es gar nichts kosten. Immer wieder kommt es vor, dass ein Kunde sagt: ›Ich habe eine GmbH, können Sie neben der Steuer auch die Buchhaltung machen? Es ist ganz einfach.‹ Ich nenne dann den Stundenlohn, und sie fragen erstaunt: ›Haben Sie denn nicht so ein Mäuschen, das das ganz
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