Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Schwall an Raumfahrtzeitalter-Nörgeleien zu genießen. Ich erwartete so was wie »Alpha Centauri ging mir irgendwann echt auf die Nerven« oder »von dieser Schwerelosigkeit kriege ich immer Migräne«.
Als ich ihn erreichte, fragte ich ihn, worüber Astronauten denn so meckern.
Er musste lange nachdenken. »Hallo? Sind Sie noch da?«, fragte ich.
»Vielleicht über die Toilette auf der International Space Station«, sagte er dann, mir offenbar nur mit einiger Mühe entgegenkommend. »Wenn man mitten in der Nacht aufstehen muss, dann ist manchmal gerade der Tank voll und muss erst gewechselt werden, und dann sagt man, muss das gerade jetzt sein?«
»Und dann legen Sie richtig los, ja? Sagen Sie – wer kriegt das meiste Fett ab?«
»Na gut, letzten Endes war das auch nicht so schlimm«, musste er zugeben.
»Aber Ihr Arbeitsumfeld ist doch total gefährlich«, bohrte ich weiter, »stört Sie das denn überhaupt nicht?«
»Also, wenn mal ein Lebenserhaltungssystem zu reparieren ist, ist das für einen Ingenieur hoch interessant«, erklärte mir Herr Reiter, seines Zeichens Diplom-Ingenieur.
»Hören Sie mal«, belehrte ich ihn, »es gibt kaum einen anderen Beruf, der mit so viel Stress verbunden ist wie der Ihre. Ihr Leute da oben seid auf engstem Raum über Monate zusammengepfercht, weit weg von zu Hause und habt so gut wie keine Freizeit, ihr müsst jeden Tag einen minutengenauen Ablauf einhalten ohne Abweichungen. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich montags nicht krankmelden kann, wenn man sonntagabends zu viel gebechert hat. Wenn eine ganz normale Sekretärin unter ganz normalen Bedingungen es fertig bringt, den ganzen Tag rumzukritteln, dann müssen Sie doch mehr auf Lager haben als ›so schlimm ist es auch nicht‹.«
Ich hörte richtig, wie der arme Mann sich anstrengte.
»Na gut, montagmorgens hat man manchmal einen Durchhänger. Wenn Dinge auf dem Dienstplan stehen, die man nicht machen will.«
»Mein Gott, Mann, denken Sie nach!«, schimpfte ich.
»Oder wenn Wartungsarbeiten anstehen«, fügte er schnell hinzu, »und Sie müssen dafür lange nach Ersatzteilen suchen, das tut schon zu Hause keiner gern, und da oben ist jede Sekunde Gold wert, und man hat das Gefühl, wenn etwas nicht am Platz ist, dann geht Zeit verloren, das ärgert einen. Auf der Mir brauchten wir mal einen Ventilator mit einer speziellen Seriennummer zur Reparatur eines Luftentfeuchters, doch er war nicht dort, wo er laut Computer sein sollte. Nach einer Woche hatten wir alles auf den Kopf gestellt und das Teil immer noch nicht gefunden, nur ähnliche Ventilatoren, aber mit einer anderen Seriennummer. Wir suchten also weiter, bis endlich der zuständige Spezialist im russischen Kontrollzentrum meinte, ›na, dann nehmt eben irgendeinen Ventilator, der passt‹, und da nörgelten wir schon ein bisschen.«
»Und? Was haben Sie gesagt? Wie machten Sie ihn fertig?«
»Na ja, da sagten wir unter uns vielleicht so was wie: ›Warum nicht gleich so?‹«
»Das ist ja nicht auszuhalten!«, platzte es aus mir heraus. »Wie kommt es, dass ihr Astronauten so wenig nörgelt?«
Ich konnte es zwar nicht hören, aber ich glaube, er lächelte.
»Es ist die Aussicht«, sagte Herr Reiter.
8 . Ich bremse für die Wirtschaft
Mutige Streiter gegen den Machbarkeitswahn
Das Erstaunlichste an der Tradition des Jammerns im Büro ist: Es bleibt da draußen nicht unbemerkt.
Deutschland ist weltweit berühmt als eines der reichsten, effizientesten, intelligentesten, am besten ausgebildeten und modernsten Länder der Welt … das keine eigene Ideen hat.
Objektiv betrachtet ist das natürlich nicht korrekt: Die Deutschen haben eine Menge Ideen. Sie gehören zu den intellektuell lebendigsten Menschen dieser Erde, wie könnte es anders sein? Der Grund, warum dieser Eindruck nicht nach außen dringt, ist einfach: Die Deutschen legen zwar viel Wert auf neue Ideen, aber noch mehr Wert darauf, Ideen totzumäkeln.
Wer noch nie im Leben Zeuge eines Ideenzernörgelwettbewerbs war, hat nicht gelebt. Es ist ein Naturspektakel vom Rang einer Löwenattacke in der Serengeti oder des Wettlaufs der Hausfrauen um die besten Schnäppchen am ersten Tag des Sommerschlussverkaufs.
Es funktioniert so:
Jemand – meist ein naiver Anfänger – legt eine neue Idee auf den Tisch … und das auch noch vor der versammelten Mannschaft. Die Kollegen holen tief Luft und dann, langsam zuerst, dann aber immer schneller und heftiger, pflücken sie den Vorschlag
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