Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
auseinander, bis am Ende nichts davon übrig bleibt als ein paar Knochen und ein trauriges Häuflein Reststolz des Ideengebers.
Manche nennen es die Nörgellawine, andere sagen dazu nur: »Baby im Haifischbecken.« Es ist das Ereignis, auf das sich der durchschnittliche Mitarbeiter die ganze Woche freut. Für viele Kollegen ist es der einzige Grund, weshalb sie überhaupt noch zur Arbeit gehen.
Ich, wie auch mancher Ethnologe, nenne das Phänomen die »gemeinschaftliche, rituelle Ideenzerfleischung«. Ob in einer Mitarbeiterversammlung oder gar im Kundengespräch, das Ritual funktioniert immer gleich. Sebastian S., freier Radio- und Fernsehautor, beschreibt den Vorgang aus eigener Erfahrung wie folgt:
»Zum Beispiel in einem öffentlich-rechtlichen Sender, wenn man den zuständigen Redakteuren einen fertigen Film zum ersten Mal vorführt. Du hast dir tagelang den Kopf zerbrochen, ewig in Archiven gestöbert, dein Wochenende im Schneideraum beim Cutter verbracht, und nachts durchgearbeitet, um dir einen witzigen Text aus den Fingern zu saugen. Dann zeigst du den fertigen Film der Redaktion. Wenn der zu Ende ist, herrscht erstmal allgemeines Wohlbehagen. Die finden ihn gut. Bis sich dann einer ganz hinten meldet und sagt: ›Find ich auch gut, aber …‹ Und dann legt er los. Er kritisiert, dass das Braunkohlebergwerk nicht im Jahr 1975, sondern 1976 eröffnet wurde. Oder sonst irgendeine Zahl. Das darf man aber nicht so alleine stehen lassen. Ein Zweiter meldet sich und findet noch ein Haar in der Suppe. Dann sind die anderen langsam in der Pflicht, sich auch mal als Kritik-kompetent zu zeigen, vor allem die Vorgesetzten. Sonst stehen sie ja dumm da, haben nix zu sagen, sind wohl nur Lob-kompetent. Und alles, was sie sagen, muss noch besser, härter, ausgefeilter sein als das, was vorher kam. Am Ende heißt es dann, es wäre unverantwortlich, den Film zu senden.«
In kreativen Berufen ist die rituelle Ideenzerfleischung ein aufregendes und bewährtes Werkzeug, um den Kollegen eins auszuwischen und die eigene Position in der Herde zu untermauern. Man muss es nur anzuwenden wissen.
Sascha Alter, Kreativdirektor in einer Werbeagentur, hat Erfahrung auf beiden Seiten der Nörgellawine – im Geben wie im Nehmen. Ich fragte ihn, was man tun muss, um die geniale Idee eines Konkurrenten fertigzumachen.
»Am besten geht das mit fachlicher Kompetenz«, empfahl er. »Wenn ich sage, ›dies oder das finde ich nicht gut‹, ist das eine subjektive Meinung. Wenn der Chef das hört, durchschaut er das, und man steht als jemand da, der die Sachen nur schlechtredet, ohne eigene Ideen zu haben. Eine fachliche Kritik kann man dagegen schwer herunterreden. Geht es zum Beispiel um den Entwurf einer Werbung für einen Baumarkt, dann sagt man nicht, ›die Farbe gefällt mir nicht‹, sondern, ›Blau passt nicht zum Baumarkt, weil Blau Kopfarbeit symbolisiert, es passt eher zu einer Bank‹. Eine Menge liegt auch an der Art der Kommunikation. Man macht zum Beispiel einen Witz darüber, und der Witz ist halt ernsthafter, als er zu sein scheint. Das wirkt nach. Oder wenn man mit dem Chef unterwegs ist, kann man diskret das eine oder andere Wort fallen lassen, und schon ist die Sache gestorben. Das Erwähnen der Fehler der anderen ist immer das Beste, aber dafür muss die Atmosphäre stimmen. Ein lockeres Mittagsessen – nicht im Büro, und ganz persönlich, ganz locker – das ist das Beste.«
»Bewährt ist auch, zu sagen: ›Erstens kann es nicht funktionieren und zweitens gibt es das längst‹«, erklärte mir der Unternehmensberater Winfried Berner, Inhaber der Umsetzungsberatung in Mitterfels unweit von Regensburg und Autor des Buches Change!: 15 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung . »Das ist zwar ein Widerspruch, aber wenn das eine nicht stimmt, stimmt das andere. Man kann inhaltlich argumentieren, man kann aber auch Dinge ins Lächerliche ziehen. Gerade, wenn ein Vorschlag schlecht angreifbar ist, kann man die Person angreifen: ›Ausgerechnet du kommst mit einer Idee? Alle wissen doch, dass dir nichts einfällt‹.«
Eine junge Werbetexterin erzählte, wie sie einmal in einer Runde von Kollegen versuchte, eine besonders gewagte Idee anzubringen und sie mit Zähnen und Klauen verteidigte, zumindest so lange, bis der Chef witzelnd einwarf: »Du argumentierst wie meine Frau, wenn sie ihre Tage hat.«
»Als Erstes fragen sie: ›Wie viel Sinn macht das? Was
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