Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
der Unterschied? Was machten die deutschen Zeitungen richtig, während die amerikanischen um ihre Auflage kämpften?
Die Antwort: Deutsche Zeitungen betreiben nicht Journalismus, sondern Nörgelismus.
Das Kernprinzip des Journalismus ist: Der Journalist bleibt neutral. Keiner interessiert sich für seine Meinung, er soll bloß Information weitergeben. Der Leser ist schon selbst in der Lage, die Ereignisse zu interpretieren.
Im Nörgelismus ist es umgekehrt.
Am Tag nach dem letzten Klimagipfel im Dezember 2009 zog die New York Times Online folgendes Resümee: »Präsident Obama gab Freitagnacht bekannt, dass fünf der großen Nationen einschließlich der USA ein gemeinsames Klimaabkommen unterzeichnet hatten. Er nannte das Abkommen ›einen einmaligen Durchbruch‹, räumte jedoch ein, dass es nicht ausreichen würde, die globale Klimaerwärmung zu bekämpfen.« Die Schlagzeile: »Viele Ziele bleiben unerreicht im Fünf-Länder-Klima-Deal.«
Das ist klassischer anglo-amerikanischer Journalismus: Erst die Fakten, also das, was passiert ist. Dann die Sorge ansprechen, die jeder teilte: Das Abkommen könne vielleicht nicht ausreichen. Dabei wird diese Sorge von jemandem geäußert, der mit der Sache zu tun hat – ein Experte oder wie in diesem Fall Obama selbst. Auf keinen Fall darf ein Journalist einfach schreiben, dass er das Abkommen für einen Griff ins Klo hält.
Hier die nörgelistische Version aus Spiegel Online : »Die Klimakonferenz von Kopenhagen wird zum Fiasko – Klimakonferenz steht vor dem Scheitern.«
Alle deutschen Zeitungen betreiben zu einem gewissen Grad Nörgelismus, aber die unumstrittenen Meister sind Spiegel (Printausgabe sowie Online) und Bild Zeitung . Nur sie haben es perfektioniert, aus jedem Bericht einen Skandal, aus jeder Vermutung einen Alarm, aus jeder noch so bescheidenen Story eine immanente Bedrohung herauszuschlagen. Und man muss schon sagen: Auch wenn die Bild in dieser Hinsicht immer noch den besseren Ruf genießt, hat der Spiegel sie längst überholt.
Nörgelismus ist keine Berichterstattung, sondern eine Weltanschauung, deren wichtigste Aussage ist, dass irgendetwas schiefgegangen ist und weiterhin schiefgehen wird. Und dass alles, was der Leser liest, irgendwie mit einem Skandal oder einer Katastrophe zu tun hat oder sonst wie ein guter Grund ist, sofort in Panik zu geraten. Da sind die nackten Tatsachen eher unwichtig. Ehrlich gesagt dienen sie nur als Plattform für die zentrale Aussage des katastrophalen, skandalösen Schiefgehens. Mit einer so einschneidenden Botschaft darf man es dem Leser auf keinen Fall selbst überlassen, eine Information zu interpretieren.
Während der Journalist dem Leser eine »gesunde intellektuelle Distanz« zum Geschehen gönnt, geht der Nörgelist dem Leser unter die Haut. Die Beziehung zwischen Zeitung und Leser ist eine brutal-intime: Der Nörgelist packt ihn am Herz, das sich vor Schreck zusammenkrampft, greift direkt in das Angstzentrum seines Hirns und kurbelt den Adrenalinspiegel so hoch, dass der Leser nur noch stöhnen kann. Es bleibt ihm keine Wahl, er muss weiterlesen, denn er muss wissen: Wie soll das noch alles enden?
Im Gegensatz zum gewöhnlichen Journalisten kann der Nörgelist es sich nicht leisten, herumzusitzen und zu warten, bis etwas passiert, und anschließend darüber zu berichten: Er braucht immer und überall den Skandal. Hat man also gerade keinen neuen Bericht über steigende Arbeitslosigkeit zur Hand, muss man eine Story darüber erfinden, dass die Deutschen viel zu viel arbeiten: »Von der 37,6-Stunden-Woche können die meisten Deutschen nur träumen«, schreibt der Spiegel unter der Überschrift »Wie die Deutschen für ihr Geld schuften müssen«.
Bei anderen Artikeln reicht es einfach, wichtige Informationen wegzulassen. Als der US-Präsident George W. Bush 2007 beschloss, illegalen Einwanderern, die keine Versicherung hatten, keinen Zugang mehr zur staatsfinanzierten Krebstherapie zu erlauben, war der Spiegel entsetzt über dessen Kaltschnäuzigkeit. Es war eine großartige Story und hat die Leserschaft auch über diesen herzlosen amerikanischen Cowboy-Präsidenten total aufgeregt. Und der Nörgelist musste dabei nichts weiter tun als die kleine Information weglassen, dass auch Deutschland so wie die meisten anderen Länder der Welt keine teure Krebstherapie für Menschen aus Steuergeldern finanziert, die illegal ins Land kommen in der Hoffnung, der deutsche Steuerzahler löse ihre Probleme.
Auch das
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