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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Ich mich schon.

11 . Die Kathedrale des kritischen Denkens
    Was deutsche Journalisten den ganzen Tag lang tun
    Die Deutschen haben ein einziges Problem. Es geht ihnen zu gut.
    Sie sind zu gut gefüttert, zu gut abgesichert, zu beschützt, medizinisch zu gut versorgt, zu gebildet und in allen weiteren Aspekten zu frei. In anderen Ländern, in den USA zum Beispiel, müssten sie ums schiere Überleben kämpfen, sich um den letzten Bissen Beute prügeln, Hitze, Kälte, Krankheit, Tornados und Parasiten abwehren. Nicht in Deutschland. Es ist ein schreckliches Schicksal, vielleicht das schrecklichste überhaupt: Ihnen droht der Tod durch Langeweile. Ihr Blutdruck ist drauf und dran, auf null zu fallen, ihr Herzschlag ist bedrohlich langsam, es fehlt ihnen ein Grund, morgens aufzustehen, so gut geht es ihnen.
    Doch Hilfe ist nicht weit. Zum Glück für Deutschland gibt es eine einzige Institution, die fleißig und verlässlich dem Tod durch Langeweile entgegenwirkt und die Bewohner dieses schönen Landes von morgens bis abends mit einem Extraschuss Adrenalin versorgt, damit sie den Tag durchstehen: Die Presse.
    Schon in meiner Heimat Hawaii erfuhr ich aus der amerikanischen Presse einiges über dieses Land, lange bevor ich zum ersten Mal den Fuß auf deutschen Boden setzte. Dort beschrieb man es als reich, sicher, ur-kapitalistisch, ur-demokratisch, ur-bürgerlich und in jeder Hinsicht ur-erfolgreich. Ich erfuhr von geschützten Arbeitsverhältnissen, die uns Amerikanern zwar etwas übertrieben erschienen, aber zu einer sehr stabilen Wirtschaft führten; von der deutschen Liebe zur Umwelt, von seinem teuren, aber effizienten Gesundheitssystem, von seinen ständigen Bemühungen, die Vergangenheit zu bewältigen; von der überdurchschnittlichen Bildung der Menschen und ihren enormen Fähigkeit, mit jeder neuen Herausforderung klarzukommen. Alles in allem ein rundum tolles Land.
    Alles Lüge!
    Als ich hierher kam, dauerte es nicht lange, bis ich in den deutschsprachigen Zeitungen die Wahrheit lesen konnte. Ich erfuhr, dass Deutschland kurz vor dem geistigen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch stehe; dass die Neo-Nazis immer mehr zunähmen und die NPD bald zur wichtigsten Partei werde; die Preise erschreckend steigen und manchmal auch alarmierend sinken würden; dass die jetzige Finanzkrise viel schlimmer als die letzte sei, die schlimmste seit Kriegsende, genau wie die letzte Krise auch, nur diesmal schlimmer; dass die große Koalition der politische Stillstand sei und auch noch zu zerbrechen drohe; dass Helmut Schmidt einen Polizeistaat erschaffen habe; dass Helmut Kohl einen Polizeistaat erschaffen habe und dass Gerhard Schröder und Angela Merkel als Politiker solche Nieten seien, dass sie nicht mal in der Lage seien, einen Polizeistaat zu erschaffen. Bizarre Krankheiten breiteten sich genauso rasant aus wie Gewalt unter Jugendlichen, die aber auch zärtlich sein können, denn auch Teenager-Schwangerschaften nähmen zu. Apropos zunehmen, Teenager seien sowieso zu dick. Opernhäuser stürben aus, die Deutschen auch, abgesehen von ihren Rentnern, die nicht schnell genug ausstürben, wie auch die Arbeitslosen, die sich mit alarmierender Geschwindigkeit vermehrten, und wenn es bald keine Deutschen mehr gäbe, wer sollte dann das Renten- und Gesundheitssystem finanzieren?
    Habe ich was ausgelassen? Oh ja, und zwar viel.
    Nie hätte ich gedacht, ich würde je bereuen, eine zweite Sprache gelernt zu haben, aber bald ging es mir wie jemandem in einem Science Fiction, der Gedanken lesen kann und verrückt wird, weil er es nicht mehr abstellen kann. Ich brach bei der Lektüre von der Zeit in kalten Schweiß aus, ich zuckte zusammen bei jedem unbekannten Geräusch, wenn ich in den Spiegel vertieft war, und konnte nachts nicht schlafen, so viel Angst hatte ich vor der nächsten Krankheit, vor den Neo-Nazis, vor der Zukunft. Und ich konnte nicht aufhören, Zeitung zu lesen. Ich war zeitungssüchtig. Jeden Morgen rannte ich zum Kiosk an der Ecke. Keine Ausgabe durfte ich verpassen.
    Komisch, dachte ich eines Tages: In Amerika war ich nicht zeitungssüchtig gewesen. So viel Freizeit, täglich mehrere Tages- und Wochenzeitungen durchzuforsten und auch noch abends jeder Menge Kommentatoren und Politikern zu lauschen, hatte ich gar nicht gehabt. Ich war ja auch ein junger Mann damals und hatte Großes vor. Hier in Deutschland dagegen gab es Wichtigeres zu tun, als egoistische Zukunftspläne zu schmieden: Zeitung lesen.
    Was war

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