Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
die Aufregung. Es ist ansteckend, da ist eine Hochstimmung, ein Buzz , ein Beben in der Luft, das absolut süchtig macht. Aber hier – es war wie der Besuch in einem Großraumbüro. Kein Buzz , nichts.«
Er hatte recht. Dieser Buzz , das ist das Summen des Möglichen, die Aufregung, wenn man alles in ein Projekt steckt, von dem man hofft: Dieses Ding wird endlich der Hit sein, auf den ich so lange gewartet habe. Dieser Buzz , das ist die Suche nach Glück. Um sein Glück zu erreichen, versucht man alles, und man weiß: Der Staat wird dir dabei nicht helfen. Das ist der Grund, warum Amerika voller skurriler Geschichten steckt. Wenn eine Frau den bei einem Arbeitsunfall abgetrennten Finger ihres Mannes einsteckt, zum Fastfood-Laden Wendy’s fährt, dort ein Chili con Carne bestellt und den Finger, wenn keiner guckt, in die Suppenschüssel rührt, damit sie Wendy’s später auf ein hübsches Sümmchen verklagen kann, dann ist das ihre Art, nach Glück zu streben. Wenn ein Familienvater einen riesigen selbstgebastelten Ballon aufsteigen lässt, dann sämtliche TV-Sender anruft, sie um Hilfe bittet, weil sein Sohn darin stecke und in Lebensgefahr schwebe, und das ganze Land verfolgt das Drama im Fernsehen, bis herauskommt, dass das Söhnchen überhaupt nicht drin war und die ganze Aktion nur dazu diente, Aufmerksamkeit zu erregen, dann war das seine Art, nach Glück zu streben. Wenn ein Fernsehprediger wie Oral Roberts verkündet, dass ihm Gott in einer Vision damit gedroht hat, ihn sterben zu lassen, wenn seine Zuschauer ihm nicht innerhalb von drei Monaten acht Millionen Dollar spenden, dann ist das seine Art, nach Glück zu streben. Und wenn seine Zuschauer ihm daraufhin tatsächlich so viel Geld spenden, dann ist das auch eine Art, nach Glück zu streben.
Deswegen erinnert ein Filmset in Babelsberg eher an ein Großraumbüro: Man strebt nicht nach Glück, steckt nicht sein ganzes Geld, seine Kraft und alle Hoffnungen hinein, sondern man fertigt eine Auftragsarbeit für den Staat. Er ist es, der das Projekt finanziert (die Produktion wird von der Kulturförderung getragen) und auch ausgesucht hat (die Kulturförderung hat das Drehbuch nach eigenen Kriterien ausgewählt und überarbeiten lassen). Nicht das Publikum entscheidet über den weiteren Lebensweg des Kinokünstlers, sondern das Fördergremium.
Also ist der Filmkünstler eigentlich Staatsbeamter.
Und warum auch nicht? Warum sollte ein Filmschaffender seine eigenen großartigen Ideen und sein eigenes Geld in einen Film stecken, der, statistisch gesehen, sowieso scheitert? Kein Deutscher würde auf die Idee kommen, für das Streben nach Glück seine finanzielle und berufliche Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Es gibt einfach eine bessere Alternative, alles zu bekommen, was man will: nämlich vom Staat.
Inzwischen sehen auch wir Amis die Nachteile unseres Systems. Als ich jünger war, dachte ich mir, ich würde keine Altersvorsorge brauchen, weil ich mit 30 schon reich und berühmt bin. Jetzt ist 30 eine blasse Erinnerung, und ich habe immer noch keine anständige Altersvorsorge. Vielleicht ist ja ein Kompromiss denkbar: Deutschland und Amerika könnten ein Austauschprogramm starten: Junge Deutsche mit neuen Ideen und viel Energie werden nach Amerika eingeladen, wo sie ihr Glück in Hollywood probieren, und alte Amerikaner, die ausgebrannt sind und weder Mut noch Ideen haben und auch keine Altersvorsorge, werden nach Deutschland verfrachtet, wo sie fürs ZDF arbeiten können.
Als Deutscher darf man sich nie mit dem Staat zufrieden zeigen. Wenn alle Rechte, Privilegien und auch die persönliche Sicherheit durch den Staat kommen, wäre es unsinnig, den Staat mal wissen zu lassen, dass er seinen Job eigentlich ganz gut macht. Dann würde er sich nicht mehr anstrengen. Er würde sich womöglich auf die faule Haut legen! Stellen Sie sich vor, der Staat sagt plötzlich: »He, Hartz IV gehört zu den besten Sozialsystemen der Welt, das habt ihr selber gesagt, jetzt gebt euch mal damit zufrieden. Und noch was: Wer nicht arbeitet, der soll auch keinen Flachbildschirmfernseher bekommen. So gut ist das Fernsehprogramm nun wieder auch nicht.«
Das wäre doch ein Alptraum.
Apropos Fernsehprogram: Haben Sie sich jemals gefragt, warum die Deutschen so unglaublich viele Polittalkshows und Nachrichtensendungen sehen und Unmengen an Zeitungen, Zeitschriften und bierernsten gesellschaftspolitischen Sachbüchern – dieses natürlich ausgeschlossen – verschlingen? Nein?
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