Noir
räusperte sich. «Also, wir sind wegen einem schwarzen Zettel gekommen, wie besprochen.»
Eine Explosion im Film tauchte Amors Blick in giftiges Orange. «Ja, genau. Es freut Monsieur Samedi, dass Sie so erfolgreich damit sind. Die meisten, wissen Sie, probieren es einmal aus und kaufen nie wieder einen Zettel. Sie kommen zu den Séancen, aber alleine, ohne Monsieur Samedis Leitung, gelingt es ihnen einfach nicht. Natürlich ist Monsieur Samedi auch froh darüber, seine Anhänger bei sich zu behalten. Aber es freut ihn besonders, wenn er jemanden findet, der eine Gabe besitzt.» Seine Stimme war zuckersüß, die Worte beinahe unverständliche Schnalzlaute. Dann deutete er mit der Zigarette auf die beiden. «Wie war das bei Ihnen doch gleich? River hat den ersten Zettel erworben. Und es funktionierte. Sie waren zu viert – River, Sie beide und Ihre Freundin Julia. Dann probierten Sie es zu dritt aus, ohne Sie, Nino – und da funktionierte es nicht. Und zu zweit – Sie, Philip, und Ihre Freundin Julia, sie hatten alleine auch keinen Erfolg. Und nun sind die vier Freunde wieder vereint, und es klappt. Sehr schön. Ein Märchen von Freundschaft! Sie sollten Ihre Beziehung nicht unterschätzen.» Er tippte sich an seine Tätowierung am Hals, als würde die erklären, was er meinte. «Ich bin so neugierig … sagen Sie, welche Fragen haben Sie dem Glas gestellt?»
Philip zuckte die Schultern. «Alles Mögliche.»
«Ja, ja», sagte Amor ungeduldig, «aber was nun – persönliche Fragen wie ‹Liebt sie mich?› und ‹Soll ich den Job wechseln?› oder philosophische Fragen wie ‹Gibt es Gott?› und dergleichen? Und die Antworten, haben sie Sinn ergeben? Waren sie beängstigend oder tröstlich?»
Nino sah zu Philip herüber und erkannte bei ihm dasselbe Misstrauen, das er empfand.
Er zuckte wieder die Schultern. «Ja, ein bisschen von allem. Wie immer.»
«Wie immer», wiederholte Amor.
Das Schweigen, das nun einsetzte, war beinahe beunruhigender als Amors merkwürdiges Gerede. Die Zigarette zischte und warf ihren Ascheschwanz ab.
«Also zwanzig, oder?» Philip zog einen zerknitterten Geldschein aus der Hosentasche und reichte ihn über den Schreibtisch.
Mit Luchsaugen betrachtete Amor den Schein, dann Philip. Wieder beförderte er eine Zigarette aus seiner Jacke und zündete sie an der noch brennenden an.
«Das Geld», sagte er Rauch atmend, «können Sie wieder einstecken. Ich glaube, in Ihrem Kühlschrank befinden sich nur noch zwei Scheiben Toast, und die Bärchen-Wurst ist ebenfalls so gut wie alle. Ganz zu schweigen von Butter! Entgegen der zeitgenössischen Meinung von Fitnessfanatikern ist Butter keineswegs gesundheitsschädlich, jedenfalls nicht bei einem jungen Menschen Ihrer schlanken Statur, Philip. Sie könnten sich ruhig ein wenig Butter gönnen. Wenn man einem sumerischen Mosaik Glauben schenken darf, haben Ihre Vorfahren das schon 3000 vor Christus getan. Wieso investieren Sie dieses Scheinchen nicht lieber in essbare Genussmittel?»
Zögernd nahm Philip den Arm wieder zurück. Er kniff die Augen zusammen. «Woher …?»
«… ich das weiß? Aber wie es in Ihrem Kühlschrank aussieht, das sieht man Ihnen doch an! Ich bin noch nicht lange in dieser schönen Stadt, die Sitten ihrer Bürger sind mir nicht so vertraut, aber ich interessiere mich sehr für Essgewohnheiten. Ja, ich würde behaupten, da besitze ich ausgezeichnete Menschenkenntnis.»
Nino verlagerte unruhig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ihn verunsicherte nicht nur die komische Ausdrucksweise des farblosen Mannes – da war etwas an ihm, irgendwas in seinen Bewegungen. An den Rändern seiner Gestalt.
«Sehen Sie, Monsieur Samedi hat mich nämlich angewiesen, Sie beide einzuladen. Sie müssen nichts bezahlen.» Er klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen und stand auf. Dann bückte er sich nach dem Teppich. Mit einem Ruck riss er ihn zur Seite.
Darunter verbargen sich ein kreisförmig angeordnetes Alphabet und alle Zahlen von null bis neun – ein mit Edding direkt auf den weißen Boden gemaltes Ouija-Brett.
«Bitte, setzen Sie sich!» Amor ließ sich auf die Knie sinken und zog einen dicken Filzstift aus der Jacke. Ohne einen schwarzen Zettel als Vorlage zu benutzen, malte er in die Mitte des Zirkels ein kompliziertes Zeichen.
Seine Striche waren schnell und geübt. Schon hatte er eine Art dreiarmigen Kerzenständer entworfen, mit antiken Schriftzeichen ringsum, aus denen verdrehte Schlaufen und
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