Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
dass es noch schlimmer werden würde, wenn er vom STYX runterkam. Einerseits verfluchte er sich dafür, überhaupt etwas genommen zu haben, und andererseits dafür, Jean Orin nicht um etwas zum Mitnehmen gebeten zu haben.
    Nach ein paar Minuten wurde ihm kalt. Und er war müde. Eigentlich gab es keinen Grund, hier draußen zu sitzen, außer dass er nicht in die Wohnung wollte.
    Die Vorstellung, Katjuscha zu begegnen, schnürte ihm die Kehle zu. Dabei vermisste er sie so sehr wie früher, als er klein gewesen war und sie das Zentrum seiner Welt.
    Als er nach Hause kam, war sie gerade in der Badewanne und hörte Radio. Dankbar schlich er in sein Zimmer.

[zur Inhaltsübersicht]
22 .
    E in silberner Mercedes parkte am nächsten Morgen vor dem Haus. Nino nahm den Wagen nicht wahr, bis er merkte, dass er hinter ihm herrollte. Als er sich umdrehte, holte der Mercedes ihn langsam ein. Der Fahrer war ein älterer Herr mit Baskenmütze.
    Misstrauisch ging Nino weiter. Als er um die Ecke bog, lief er beinah in eine Frau hinein.
    «Hallo.» Sie lächelte. Weiße Zähne, dunkle Haut. Er kannte ihr Gesicht. Einen Moment später fiel ihm auch der Name dazu ein.
    «Mona!»
    «Genau. Wie geht es dir?» Julias Freundin trug ein senfgelbes Jackett, Jeans und hochhackige Sandalen, die nicht für das kühle Wetter geeignet schienen. Ihre Haare fielen ihr in schwarzen Kringeln auf die Schultern.
    «Hast du kurz Zeit?»
    «Eigentlich nicht.» Er kniff die Augen zusammen. «Woher weißt du, wo ich wohne?»
    «Wir sollten reden.»
    «Ich muss leider zur Arbeit, aber wir sehen uns bestimmt mal wieder mit Julia und …» Er sah aus den Augenwinkeln, wie der Mercedes an den Straßenrand fuhr und neben ihnen zum Stillstand kam. Ohne den Blick von Nino zu wenden, ging die junge Frau hin und öffnete die Fondtür. «Lass uns über das Angebot reden, das Monsieur Samedi dir gemacht hat.»
    Er spürte, wie sich sein Mund vor Überraschung öffnete.
    «Komm», sagte sie freundlich. «Wir können im Auto sprechen, nicht hier auf der Straße. Ich bring dich auch zur Arbeit.»
     
    «Woher weißt du davon?», fragte er, als sie auf der Rückbank saßen. Das beigefarbene Leder war warm, als hätte die Sonne darauf geschienen.
    Langsam glitt der Wagen los und fädelte sich in den Morgenverkehr ein.
    «Du weißt nicht, wer ich bin.» Mona blickte auf die Straße. Ihre Stimme war hoch, aber weniger kindlich und quietschend, als er sie in Erinnerung hatte. «Wer fragt, muss mit der Antwort umgehen können.»
    Er atmete tief durch. Er spürte wieder das Sirren von gestern im Kopf, so als würden ein paar Drähte zu heiß laufen und gleich durchbrennen.
    «Woher weißt du von Monsieur Samedis Angebot?»
    Sie lächelte schüchtern. Um ihre Augen spreizte sich ein Netz feiner Fältchen. Er hatte sie vorher nie im Tageslicht gesehen – überhaupt hatte er sie nie direkt angesehen –, und jetzt fiel ihm auf, dass sie älter sein musste als Julia. Anfang dreißig mindestens. Sie war damals so unscheinbar gewesen … er versuchte sich zu erinnern, ob er ihren Tod gesehen hatte, doch sein Gedächtnis war blank.
    «Es ist gefährlich, mit dir zu sprechen», sagte sie in einem Plauderton, der das überhaupt nicht vermuten ließ. «Niemand darf es erfahren. Schon gar nicht Monsieur Samedi. Schwörst du, Schweigen zu bewahren?»
    Er nickte.
    «Gut. Monsieur Samedi und ich, wir sind sozusagen Mitglieder derselben Organisation.»
    «Welcher?»
    Sie lächelte wieder mit geschlossenem Mund, als amüsierte sie sein Ernst. «Auf Deutsch würde man uns die
Mentorenschaft
nennen.»
    «Übersetzt aus welcher Sprache?»
    «Jede Sprache ist unsere Sprache. Unsere Mitglieder kommen von überall.»
    Er atmete wieder tief durch. So rätselhaft, wie sie sich gab, könnte er genauso gut das Glas befragen. Er lehnte sich zurück und rieb sich die Stirn. «Du wolltest reden. Bitte, erzähl.»
    «Wir, Monsieur Samedi und ich, gehören zwar beide der Mentorenschaft an, aber das macht uns nicht zu Verbündeten mit dem gleichen Ziel. Unsere Organisation ist eher lose, weil Diskretion das oberste Gebot ist. Wir haben viele, sagen wir,
unsichtbare
Mitglieder. Darunter sind auch einige schwarze Schafe.»
    Nach einer Weile fuhr sie fort: «Wir alle besitzen dieselbe Gabe. Ich gehe davon aus, dass Monsieur Samedi dich aufgeklärt hat, um welche Gabe es sich handelt?»
    Er warf einen Blick zum Fahrer, der nicht zuzuhören schien. «Er hat mir nicht gesagt, dass es eine Organisation

Weitere Kostenlose Bücher