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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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gibt.»
    «Das habe ich befürchtet.» Mona runzelte die Stirn. «Essenzielle Dinge verschweigen ist auch lügen. Er ist ein Lügner.»
    Er erwiderte ihren Blick. «Du hast auch verschwiegen, dass du eine … eine
Mentorin
bist.»
    «Ich wusste ja nicht, dass du ebenfalls das Potenzial dazu hast. Jetzt, wo ich es weiß, bin ich ganz offen zu dir.»
    Licht brach zwischen den Häusern auf die Straße und füllte den Wagen mit sandstaubgelbem Rauch. «Ich muss dich zuerst einige Dinge fragen, damit wir beide wissen, woran wir sind. Hat Monsieur Samedi irgendeine Art von Ritual mit dir durchgeführt?»
    «Wir haben Gläser gerückt», gab Nino vorsichtig zu.
    «Nichts weiter?»
    «Nein. Wieso?»
    «Weil ich wissen muss, ob er dich bereits zum Geist gemacht hat.»
    Nino starrte sie verständnislos an. Aber als wären seine Gefühle schneller als sein Verstand, lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
    «Alle Mitglieder der Mentorenschaft hatten einen anderen Mentor, der ihn oder sie in die Kunst einweihte, über die Grenze von Diesseits und Jenseits zu treten. Jeder von uns hat das Geheimnis von einem anderen erfahren. Du bist an Monsieur Samedi geraten. Das ist dein Pech. Dein Glück ist, dass
ich
dich rechtzeitig gefunden habe.»
    «Was Monsieur Samedi mir gesagt hat, dass er mein Schicksal … Also, das mit den Seelen, das können viele Leute?»
    «Nur Mentoren. Viele sind wir nicht gerade. Vielleicht zwölf, vielleicht dreißig weltweit. Genau weiß das niemand, nicht einmal wir selbst.»
    «Du sagst, ich kann, ich könnte das auch.»
    «Es dauert lange, alles zu lernen. Leider bleibt dir nicht genug Zeit dafür, dass du die Transplantation deiner Seele selbst vornimmst.»
    Er fühlte sich ertappt, weil er genau daran gedacht hatte und sich nicht traute, diese Dinge auszusprechen.
Die Transplantation deiner Seele.
Bei ihr klang es, als ging es um einen neuen Haarschnitt.
    «Es ist wirklich möglich?» Er war nicht einmal sicher, ob sie ihn hörte; seine Stimme füllte kaum die Worte aus, als fürchtete sie, sich an ihnen zu schneiden.
    «Absolut. Aber es ist ein gefährlicher Eingriff.»
    «Inwiefern?»
    «Bei einer Transplantation entlässt du den Tropfen des Ewigen Flusses, der dich erfüllt, und öffnest dich für einen neuen. Wenn der Mentor, der die Transplantation durchführt, ein Stümper ist, verlierst du womöglich deine Seele, ohne eine neue zu bekommen. Oder du hast zwei Tropfen in dir, quillst über, wirst verrückt. Hundert Dinge können schiefgehen.»
    Nino spürte, dass er die Luft anhielt. Er musste sich darauf konzentrieren, auszuatmen.
    «Und du meinst, Monsieur Samedi ist so ein Stümper. Woher willst du das wissen?»
    «Er könnte vermutlich eine saubere Transplantation durchführen, aber das wäre für ihn weniger lukrativ.» Sie legte die Finger ans Fenster und trommelte leicht dagegen.
    «Monsieur Samedi wird verdächtigt, seine Fähigkeiten absichtlich zu missbrauchen. Seit er ins Land gekommen ist, steht er unter meiner Beobachtung. Er selbst weiß natürlich nicht, wer ich bin. Da er aber gegen den Ehrenkodex der Mentorenschaft verstößt, muss er zumindest damit rechnen, überwacht zu werden.» Sie erwiderte einfach seinen Blick und ließ das Gesagte wirken, während der Mercedes weiter durch den dichten Verkehr glitt.
    «Monsieur Samedi sucht auf der ganzen Welt nach jungen Menschen wie dir, Nino, die unsere seltene Gabe besitzen. Doch er bildet sie nicht zu Mentoren aus. Er verspricht ihnen ein neues, selbstbestimmtes Schicksal. Aber er gibt ihnen keine neuen Seelen ein. Er macht sie zu Hüllen und füllt sie ab mit dem, was er aus seinem eigenen Schicksal tilgen will. Er lässt seine Seelenlosen für ihn krank werden, lässt sie an seiner Stelle sterben. Er wendet alles von sich selbst ab, indem er es in andere steuert. Nino? Hörst du mich?»
    Er hatte den Kopf gegen die Scheibe sinken lassen und starrte auf den grauen Rausch der Straße. Erst als sich Finger in seine Schulter bohrten und ihn herumzogen, spürte er, dass er in sich zusammengesunken war.
    Mona hatte erstaunlich viel Kraft in ihren schlanken Händen. Als sie seine Verwunderung bemerkte, ließ sie ihn los.
    «Hast du verstanden, was ich gesagt habe?»
    Er nickte apathisch.
    «Nino. Ich warne dich vor Monsieur Samedi! Es gibt Hoffnung für dich, aber nicht bei ihm.»
    «Noir.»
    «Was sagst du?»
    «Monsieur Samedi hat Geister?»
    «Ja. Du darfst nicht einer von ihnen werden!»
    «Wie kann ich sie retten?»
    «Wen?

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