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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Deine Seele? Hör zu: Du kannst ein Mentor werden. Ich kann eine saubere Transplantation bei dir durchführen. Ich verspreche es. Damit wenden wir erst mal deinen baldigen Tod ab.»
    «Woher weißt du davon?»
    Sie hielt inne und schien nachzudenken, woher diese Frage soeben gefallen war. «Von Julia natürlich. Du hast es ihr gesagt, weißt du nicht mehr? Bei unserer ersten Begegnung, bei der Party im Chemiewerk. Du sagtest ihr, du stirbst frühestens in so und so vielen Tagen. Sie war ganz schön begeistert von dir, hat mir viel erzählt.» Ein Grinsen verwandelte sie schlagartig wieder in ein junges Mädchen.
    «Und warum bist du nicht früher mit dem ganzen Zeug rausgerückt?»
    «Ich wusste, dass Monsieur Samedi ein Auge auf dich geworfen hat, seit du bei seiner Séance warst. Ich musste abwarten, was er mit dir vorhat. Aber ich komme nicht zu spät. Ich warne dich rechtzeitig vor ihm.»
    Eine Weile sah er aus dem Fenster, und sie ließ ihm diese Pause. Schließlich fragte er leise: «Was schlägst du vor?»
    «Zuallererst einmal darfst du dir vor Monsieur Samedi nicht anmerken lassen, dass du deine Meinung geändert hast.»
    «Ich habe noch gar nicht eingewilligt.»
    «Umso besser. Dann wirst du der Mentorenschaft helfen, ihn unschädlich zu machen. Was genau von dir verlangt wird, erfährst du von mir, wenn es so weit ist. Ich garantiere dir, dass dabei immer für deine Sicherheit gesorgt sein wird. Wenn du dich als vertrauenswürdig erwiesen hast, werde ich dich aufnehmen. Du wirst dann ein Mentor sein und alles von mir lernen. Zuerst aber werde ich dein Leben verlängern, indem ich dein Schicksal durch ein neues, ungeschriebenes ersetze.» Sie holte Luft. «Was meinst du?»
    Er versuchte sich zu konzentrieren, aber in seinem Kopf war nur Knistern, das Bröseln von Herbstlaub. Als er lange genug im Rascheln gestanden hatte, erwiderte er: «Kann ich Katjuscha dann noch sehen?»
    «Wer ist das?»
    «Meine Schwester. Die mich liebt.»
    Es schien, als würde ein Licht in ihren dunklen Augen erlöschen, als sie verstand. «Du wirst deine Schwester nicht mehr lieben, sobald du eine neue Seele besitzt, jedenfalls nicht mehr als jeden anderen Menschen. Und sie wird dich nicht mehr lieben. Ihr werdet euch nicht mehr erkennen.»
    Er fuhr sich über die Stirn und drückte so fest mit den Fingerspitzen gegen die schmerzenden Schläfen, bis ein neuer Schmerz entstand. «Was ist mit den Geistern von Monsieur Samedi? Wie kann man sie retten?»
    «Du bist noch kein Geist, Nino. Du –»
    «Ich rede von Noir, von dem Mädchen, das mit ihm wohnt!»
    Mona schien überrascht, dann lächelte sie. «Du kannst sie sehen?»
    «Natürlich. Warum?»
    «Normalerweise sind Geister unsichtbar.»
    Er schluckte, ein Geräusch entstand in seiner Kehle. «Dann ist es für Noir vielleicht noch nicht zu spät. Sie ist nicht unsichtbar.»
    «Ja. Vielleicht kann man sie noch retten.»
    «Wie?»
    Sie wich seinem Blick aus und ließ sich in den Sitz zurücksinken. «Es kommt darauf an, wie lange dieses Mädchen schon unter seinem Einfluss steht. Wenn er noch nicht viel … sagen wir, Ballast von seinem eigenen Schicksal in ihr abgeladen hat, kann man sie vielleicht noch retten. Ich müsste sie mir ansehen.» Sie warf ihm einen Blick zu. «Aber auch zu ihr: kein Wort über unser Gespräch! Wenn sie Monsieur Samedis Geist ist, ist sie ihm verpflichtet. Was sie weiß, weiß er. Verstanden?»
    Er nickte benommen. Dann schüttelte er den Kopf. «Aber wenn du ihr helfen kannst, muss das schnell passieren.»
    Mona schloss die Augen. «Zuerst einmal sorgst du für deine eigene Sicherheit. Ich werde in den nächsten Tagen beobachten, wie sich Monsieur Samedi verhält. Wenn er flüchtet oder etwas Unerwartetes tut, muss ich davon ausgehen, dass du dich verraten hast, und du wirst mich nie wiedersehen. Wenn alles ruhig bleibt, erfährst du schon bald von mir, was du für die Mentorenschaft tun kannst. Erfüllst du den Auftrag, führe ich die Transplantation durch und helfe dem Mädchen, soweit ich kann.» Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, ganz leicht, ohne Druck. «Ich weiß, das alles klingt überwältigend und verwirrend. Du brauchst Zeit, um das Ganze zu verarbeiten. Aber Zeit ist genau das, was wir uns nicht leisten können. Ich verspreche dir: Wenn es vorbei ist, wirst du klarer sehen. Es wird alles gut.» Sie fuhr sich über die Lippen. «Ich war in deiner Lage. Und ich hatte Angst.»
    Er nickte, weniger um ihr zu bedeuten, dass er ihr glaubte, als

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