Noir
Hand schien unverletzt. Er nahm sie und schloss sie zur Faust, als er darin keine Splitter fand, um die Knöchel zu küssen. Seine Noir war stark, sie hatte übermenschliche Kräfte. Aber sie war dabei so nachgiebig und weich. Sie konnte jede Gestalt annehmen, konnte Flut sein oder Träne. Plötzlich schwappte eine dunkle Schwermut in ihm hoch.
«Es könnte ganz schön wehtun», dachte er, während er ihre Faust drückte. «Wenn ich mehr liebe, als da ist. Was mach ich dann mit meiner Liebe? Wenn sie ins Nichts geht?»
Sie durchstreiften sich mit ihren Blicken.
«Wenn deine Liebe ins Nichts geht, dann wird aus dem Nichts ich. Ich werde so viel sein, wie du mich liebst.»
«Und ich werde so viel sein, wie du mich liebst.»
«Ja. So ist es immer.»
Er schüttelte den Kopf. «So ist es noch nie gewesen.»
«Nino!»
Erschrocken sah er auf – Katjuscha stand in der Tür, eine Hand vor dem Mund schwebend, und starrte ihn entsetzt an.
Nino rappelte sich auf. Er wollte Noir an sich drücken, um sie zu bedecken, doch stattdessen rutschte sie aus seinen Armen und wich nackt, wie sie war, in eine Ecke. Er trat in eine Scherbe und stöhnte.
«Oh Gott», murmelte Katjuscha.
«Nichts passiert.» Er spürte, wie er lachen musste. Er winkelte den Fuß an und zog die Scherbe aus der Haut. Ein Tropfen Blut quoll hinterher. Was für eine verrückte Situation. Sein Blick schweifte zu Noir hinüber, die sich ihrer Nacktheit nicht zu schämen schien.
«Deine Schwester?»
«Äh, ja, das ist Katjuscha. Katjuscha, das ist –»
«Sie kann mich nicht sehen», flüsterte Noir.
Er verstummte. Katjuscha starrte ihn an, ohne Noir auch nur eines Blickes zu würdigen. Vielleicht, weil sie sie wirklich nicht wahrnahm. War das denn möglich? Er schüttelte den Kopf – dass er sich überhaupt solche Fragen noch stellte!
«Komm.» Katjuscha streckte die Hände nach ihm aus. «Komm von den Scherben weg. Zieh dir was an.»
Sie kam herein, um den Handfeger unter der Spüle hervorzuholen. Nino verhinderte, dass sie das Regal öffnete, denn dahinter stand Noir. Katjuscha würde ihr gegen die Schienbeine hauen, ohne es zu merken.
«Ich mach das», sagte er bestimmt.
«Zieh dich erst an.»
«Kat, bitte!» Er drängte sie aus der Küche, wobei er versuchte, die Bettdecke mit den Beinen festzuhalten. Katjuscha ließ sich bis zur Couch bringen und plumpste einfach in die Polster.
«Bitte», sagte er hilflos. «Es ist doch nichts passiert.»
Sie starrte zu ihm auf, bis er in die Hocke ging, die Bettdecke wie ein Handtuch um seine Hüfte gewickelt, und die Arme auf ihrem Schoß kreuzte, als sei sie das Kind und er der Erwachsene.
Er würde sie verlieren. Sie war ihm jetzt schon so fern. Und bald würde sie ihn nicht mehr lieben, hätte statt ihm nur noch einen Krater im Herzen.
«Ich will, dass du weißt, dass … ich werde immer an dich denken.»
«Immer an mich denken?»
«Wenn wir uns nicht mehr erkennen.»
«Wovon redest du?»
Er presste den Kopf auf ihre Knie. Zaghaft streichelte sie seine Haare.
Im Türrahmen erschien Noir.
«Ich wollte es dir nicht sagen. Ich will nicht, dass du dir Sorgen machst. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit zusammen.»
«Was?»
«Da ist nichts zu machen, verstehst du? Unsere Zeit ist abgelaufen. Es tut mir leid. Ich hab alles versucht, um es zu verhindern.»
«Was …»
«Ich will, dass du mir eins versprichst. Wenn alle Leute denken, dass ich tot bin, dann darfst du das nicht glauben. Ich habe gute Aussichten, meinen Tod zu überlisten. Auch wenn wir uns trotzdem nie wiedersehen können. Ich will, dass du weißt, dass ich noch irgendwo bin und dass es mir gutgeht. Du darfst nicht glauben, dass ich wirklich tot bin. Ich werde Liebe haben.»
Katjuscha sagte nichts. Als er aufsah, war ihr Blick völlig verschlossen, ausgerechnet in diesem Moment, wo er so ehrlich war.
«Du verstehst mich nicht», stellte er fest.
Sie deutete ein Kopfschütteln an, überlegte es sich dann aber anscheinend anders und verweigerte jede Aussage.
Er fühlte sich so elend allein und unverstanden wie nach einer Runde Gläserrücken. «Vergiss, was ich gesagt habe. Versuch nur, dich wieder dran zu erinnern, wenn es so weit ist.»
«Wenn was so weit ist?»
«Katja, bald bin ich nicht mehr hier.»
«Warum sagst du so was?»
Er versuchte sie anzusehen, kam aber nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze. Ein Tropfen hing daran.
«Frag nicht, wenn du die Antwort nicht erträgst.»
Sie kniff die Augen zu, dass
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