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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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liebten sich geräuschlos. Einmal drückte sie den offenen Mund auf seinen und begrub ein Ächzen in ihm. Sie fielen, rasten auseinander und kamen in der Gegenwart nebeneinander auf.
    Ein Teil von Nino schlief ein. Als er zu sich kam, flüsterte er mit Noir, oder vielmehr hörte er ihr zu und lotste ihre Erzählung mit gelegentlichen Fragen in eine bestimmte Richtung. Staunend spürte er, dass er trotz seiner halben Abwesenheit genau wusste, wovon sie sprach.
    Ohne Seele könne niemand zurückkehren ins Jenseits, nein. Man stehe da, im Nirgendwo. Jean hole sie immer wieder zurück. Mit seiner Liebe.
    Er beseelt mich mit seiner Liebe, aber ich bin wie eine Vase mit einem Riss, durch den jeder Inhalt früher oder später wieder herausrinnt. Wenn er mich weniger liebt, habe ich schreckliche Schmerzen, und irgendwann erstarre ich wie Schnee.
    Wer Schnee sei, fragte er.
    Schnee ist der andere. Der zweite. Bevor Amor dazukam. Inzwischen ist er sogar für uns fast unsichtbar. Er erinnert sich manchmal an gar nichts mehr. Er steht da wie alte Luft in einer Kammer, die versiegelt ist, und hört eines Tages auf, zu existieren. Ich weiß, wie weh es tut, von ihm weniger geliebt zu werden. Schicht für Schicht wird die Existenz von dir abgezogen wie Haut. Irgendwann ist die Haut weg, und dann zieht die Zeit die Fleischfasern ab, die Sehnen, die Nerven. Schmirgelt dir die Knochen ab. Es ist ein Schmerz, für den kein Bewusstsein gemacht ist, so unerträglich ist er.
    «Dir wird das nicht passieren. Ich lasse es nicht zu.»
    «Heute hatte ich das Gefühl, dich zu brauchen. Ich verdurste, und dich kann ich trinken.»
    Sie verschwand unter der Bettdecke und liebkoste ihn, als wollte sie ihn wirklich austrinken. Die Erregung kehrte beinah schmerzhaft zu ihm zurück.
    Immer wieder stürzten sie in einen kurzen Schlaf, aus dem Noir hungriger wieder zu sich kam, ihr ganzer Körper ein Mund, der ihm Küsse aussaugte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass all die Leute, die davor geglaubt hatten, sich zu lieben, dasselbe gefühlt hatten.
    Irgendwann wurde aus dem Schlaf eine Ohnmacht, die zum Glück für ein paar Stunden weder ihn noch Noir hergab. Erst im Morgengrauen kehrten sie verschlungen zurück in sein kleines Zimmer, krochen Kopf an Kopf unter das Kissen, um sich vor dem Licht zu schützen, und ließen sich vom Atem des anderen in ein sanftes Halberwachen wiegen.
    Allmählich spürte Nino, wie durstig er war. Er schlug die Augen auf und beobachtete das, was er aus der Nähe von Noirs Gesicht erkennen konnte: Zwischen Haarsträhnen und dem Kissen waren ein Kranz fedriger Wimpern und eine leicht zur Seite gebogene Nase. Aus der Nase kam rhythmisch warmes Nichts. Der Wimpernflügel flatterte, eröffnete ihm schließlich das schwarze Loch ihrer Pupille.
    «Ich hab Durst», flüsterten sie fast gleichzeitig und mussten grinsen.
    «Ich hol was zu trinken.»
    Sie gab ein Wimmern von sich und umschlang ihn mit Armen und Beinen.
    «Du willst doch nicht wieder mich trinken. Ich bin ganz leer.»
    Er spürte, wie sie die Finger auf seinem Rücken verhakte.
    «Also gut. Dann holen wir Wasser.» Mit hörbarer Anstrengung richtete er sich und Noir auf, die wie festgewachsen an ihm hing. Da sie nackt waren, musste er erst die Decke unter sich hervorziehen und um sie beide breiten. Dann erhob er sich und ging, mit ihr eng umschlungen, in die Küche. Es war nicht so einfach, ein Glas aus dem Schrank zu nehmen, den Wasserhahn aufzudrehen und trotz des vollgestellten Spülbeckens Wasser mit dem Glas aufzufangen, während Noir begann, sein Gesicht mit Küssen zu bedecken. Ihre Küsse fühlten sich ganz anders an als alle, die er je zuvor bekommen hatte. Als würden sich ihre Lippen durch eine taube Hornschicht brennen, die sonst alles abgefangen und nicht weitergeleitet hatte, um ihn auf einer tieferen, noch nie berührten, empfindsamen Haut zu berühren.
    Er gab ihr zu trinken. Sie nahm große Schlucke, öffnete seinen Mund mit ihren Lippen und flößte ihm das lauwarme, von ihrem Speichel versüßte Wasser ein. Ein paarmal ging das gut, bis er sich vor Lachen verschluckte und sie anspuckte. Sie blinzelte. Dann hielt sie ihm die Stirn und die Wangen hin. Er ließ sich auf die Knie sinken und legte Noir auf dem Boden ab, noch immer die Decke um beide gewickelt.
    «Du bist Wasser.» Er saugte die Tropfen von ihrem Hals. «Jetzt muss ich dich trinken.»
    Das Glas zerplatzte in ihrer Hand. Als er aufsah, lagen ein paar Scherben auf der Erde, aber ihre

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