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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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bearbeiteten sie etwas, das gar nichts mit ihr zu tun hatte. Zuletzt schloss er ihren Gürtel. In den ausgebeulten Kleidern sah sie auf eine ganz andere Art entrückt aus. Er versuchte sie sich in normalen Kleidern vorzustellen, einer Jeans vielleicht und einem T-Shirt. Aber es passte nicht zu ihr. Sie gehörte so wenig in normale Kleidung wie in diese Welt.
    «Du kommst bald wieder, ja?»
    Ein Klingeln ging durch die Wohnung, durchdringend wie das Schrillen eines Weckers, das in einen Traum eindringt, bevor man davon aufwacht.
    Katjuschas Schritte in der Diele. Sie öffnete das Kettenschloss und grüßte jemanden. Noch mehr Schritte, diesmal schwerere.
    Noir und er lösten sich voneinander und standen auf. Sie waren in die Lücke zwischen Bett und Schrank gesunken, ohne es zu merken. Er zog sich einen Wollpulli über und stieg in seine Jeans, dann trat er aus dem Zimmer.
    Katjuscha führte zwei junge Sanitäter ins Wohnzimmer und sprach leise und schnell mit ihnen. Als Nino einen der beiden Männer erkannte, durchrieselte ihn der Schreck wie Schneekristalle: Amor.
    Beide Sanitäter rauchten. Katjuscha beäugte irritiert die Zigaretten in ihren behandschuhten Händen, während sie redete. Die beiden Sanitäter schienen gar nicht hinzuhören. Sie entdeckten Nino, und ein dünnes Lächeln wippte auf Amors Gesicht.
    «Wo ist ihr Bruder?» Hinter Katjuscha und den falschen Sanitätern erschien Jean Orin. Er trug weiße Arztkleidung und eine grelle rote Jacke. Breitschultrig, mit geblähten Nasenflügeln wie ein Stier, blieb er in der Wohnzimmertür stehen und fixierte Nino. «Wie geht es Ihnen?»
    Nino nickte langsam, zu mehr war er vorerst nicht fähig.
    «Ich denke», sagte Monsieur Samedi, «Sie sollten mitkommen. Holen Sie aus Ihrem Zimmer, was Sie brauchen.» Er wusste es. Jean Orin wusste, dass Noir da war.
    «Wollen Sie nicht erst mit ihm sprechen?», fragte Katjuscha.
    Monsieur Samedi sah ihr in die Augen, dass sie verstummte.
    Nino holte seine Jacke. Hinter der Tür drückte er Noirs Hand. Sie folgte ihm ins Wohnzimmer.
    Katjuscha war ins Bad verschwunden. Als Nino sich die Schuhe anzog, kam sie mit einem vollgestopften Kulturbeutel heraus.
    «Deine Zahnbürste. Falls du über Nacht bleibst oder …» Sie wandte sich an Monsieur Samedi. «Was meinen Sie, wie lange?»
    «Machen Sie sich keine Sorgen.»
    Katjuscha drückte Nino den Kulturbeutel in die Arme, um selbst ihren Mantel anzuziehen.
    «Komm bitte nicht mit», sagte Nino schwach.
    «Doch. Natürlich.»
    «Es ist nicht genug Platz im Wagen. Das verstößt gegen die Sicherheitsbestimmungen», sagte Amor.
    Katjuscha blinzelte in seine Richtung, erneut erstaunt darüber, dass die beiden Sanitäter in ihrer Wohnung rauchten, und wandte sich dann an Monsieur Samedi. «Dann fahre ich mit der Bahn.»
    Monsieur Samedi nickte und bedeutete Nino mit einem Handzeichen, nicht weiterzusprechen.
    «Ich möchte, dass du hierbleibst», wiederholte er trotzdem.
    Katjuscha drückte seinen Arm. Eine schreckliche Gewissheit durchfuhr ihn: dass es das letzte Mal war, dass sie ihn berührte.
    «Tut mir leid», flüsterte Katjuscha.
    Nur mit Mühe hielt er seine Tränen zurück. «Mir auch.»

[zur Inhaltsübersicht]
26 .
    V or dem Haus parkte ein blinkender Krankenwagen. Katjuscha verabschiedete sich, überflüssige Abmachungen murmelnd, Richtung U-Bahn. Nino starrte ihr nach und brachte keinen Laut hervor, obwohl ein innerer Schrei ihm alle Luft aus den Lungen sog.
    «Noir», befahl Monsieur Samedi, sobald Katjuscha außer Hörweite war, «du fährst uns hinterher. Alle anderen in den Wagen.»
    Amor und der zweite Sanitäter, vermutlich Schnee, nahmen vorne Platz, während Monsieur Samedi die Hintertüren öffnete und mit Nino einstieg.
    Zwei Männer saßen auf dem Boden des Wagens. Sie waren in Decken gehüllt und starrten Nino und Monsieur Samedi ausdruckslos an.
    «Was haben Sie mit ihnen gemacht?»
    Monsieur Samedi zog die Türen zu. «Losfahren!»
    Der Wagen setzte sich in Bewegung.
    «Sie haben sie hypnotisiert.»
    Monsieur Samedi ging darauf nicht ein; mit einer herrischen Geste befahl er ihm, auf der Liege Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich auf dem Klappsitz nieder und schnallte sich an.
    «Suizid, Sorokin.
Suizid?
» Er lächelte. «Deine verrückte Schwester. Worauf sie kommt.»
    «Gab es keine andere Möglichkeit, mich zu kontaktieren? Was soll das?»
    «Du bist nicht dankbar. Die Menschen sind nie dankbar. Das ist das Problem!» Er beugte sich vor, soweit der

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