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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Gurt es zuließ. «Du solltest mir danken, dass ich deine Einweisung in eine Klapsmühle verhindert habe, mein Freund. Begreifst du das?»
    «Ich wäre nicht eingewiesen worden.»
    «Ach nein? – Amor! Richtungswechsel, Plan B!»
    Der Wagen machte eine scharfe Kurve, Nino musste sich mit den Händen an der Liege festkrallen, um nicht umzukippen. Ihm brach der Schweiß aus.
    «Aber du bist verrückt. Du hast deine Medikamente einfach abgesetzt. Was genau ist mit dir passiert? Bist du depressiv, oder hast du eine Psychose entwickelt? Ja, nein, beides vielleicht?»
    «Sagen Sie ihm, er soll langsamer fahren», keuchte Nino.
    «Ihm? Wem? Da ist niemand.»
    Amor gab ein Gackern von sich und warf seinen Zigarettenstummel aus dem offenen Fenster. Nino blinzelte. Er konnte sich nicht auf Amor konzentrieren – er sah ihn, aber er verwischte immer wieder vor seinen Augen, so wie eine Erinnerung, die man sich mit aller Macht ins Gedächtnis rufen will. Nino wusste, dass jemand den Wagen fuhr. Er wusste, dass dort Amor saß. Aber sein Verstand blendete ihn gleichzeitig aus.
    «Wieso kann ich ihn nicht sehen?»
    «Vielleicht, weil du nicht ganz richtig tickst.» Sie sahen sich in die Augen. Irgendwo im glänzenden Dunkel verbarg sich ein Mensch mit Gefühlen, Gedanken, einer Vergangenheit und Zukunft. Aber Nino spürte nichts davon.
    Schließlich lehnte Monsieur Samedi sich zurück und ließ sein Lächeln fallen. «Du bist nicht verrückt. Merk dir das, Sorokin. Verhalte dich nicht wie ein Verrückter. Du darfst dankbar sein.»
    Nino nickte einfach, weil es zwecklos war, sich mit ihm anzulegen.
    «Du kannst Amor nicht sehen, weil er keine Seele hat und daher auch keine Aura. Der Rauch der Zigarette verleiht ihm Wärme. Deine Wahrnehmung verwechselt diese Wärme mit Leben.»
    Nino klammerte sich an der Liege fest.
    «Dreh um, Amor», befahl Monsieur Samedi. «Zu unserem ursprünglichen Ziel.»
    «Danke», sagte Nino gepresst, da Monsieur Samedi es offenbar erwartete. Einen Moment lang konnte er nur seinen Blick erwidern und ihn hassen. Dann hatte er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle und fragte: «Wohin fahren wir?»
    «Wir machen einen Ausflug. Um in Ruhe zu reden.»
    Nino beschloss, vorerst nichts mehr zu sagen. Vielleicht wollte Jean Orin nur wissen, ob er sich für die Transplantation entschieden hatte. Oder er wollte Nino zu Tode foltern, weil er ihm Noir weggenommen hatte.
    Sie fuhren lange. Jean Orin starrte ihn unentwegt an. Nino versuchte seinen Blick zu ignorieren, dann zu erwidern, aber er schaffte es nie länger als eine halbe Minute und nutzte dann das Ruckeln oder Bremsen des Wagens, um wieder woanders hinzusehen.
    Endlich hielt der Wagen. Jean Orin löste seinen Gurt und öffnete die Türen.
    Hinter ihnen parkte der Maserati mit grollendem Motor. Nino erkannte Noirs besorgtes Gesicht hinter der Scheibe, aber sie stieg nicht aus. Sie befanden sich in einer engen Straße, deren Häuser unbewohnt wirkten. Hier und da waren eingeschlagene oder zugenagelte Fenster, von den Fassaden blätterte die Farbe. Selbst die Graffitis sahen veraltet aus, Botschaften der Wut aus einer lange vergessenen Zeit. Weit und breit parkte kein Auto.
    Plötzlich war Nino sicher, dass Jean Orin ihn umbringen wollte. Das Wissen lag wie ein glatter schwerer Ziegelstein in seinem Bewusstsein. Das hier war ein perfekter Ort für ein Verbrechen.
    Es hatte zu nieseln begonnen. Zu leicht, um dafür seine Kapuze aufzuziehen. Nino stand mit geballten Fäusten da und sah Noir an, während Jean Orin die Türen zuwarf.
    Gestern hatte er mit ihr geschlafen. Es war einen Tag her, sein Leben zählte erst einen Tag.
    «Los», befahl Monsieur Samedi und begann eine Richtung einzuschlagen.
    Nino löste seinen Blick von Noir und folgte ihm. Sie gingen in Gleichschritt nebeneinander. Das Rascheln ihrer Jacken und das Treten ihrer Schuhsohlen schienen die einzigen Geräusche im Umkreis von Kilometern zu sein. Fern war ein Rauschen zu vernehmen, vielleicht Verkehrslärm, vielleicht Wind, der durch die leeren Straßen zog.
    «Ich glaube», begann Jean Orin, «du schuldest mir eine Antwort.»
    Nino schluckte, er musste seine Worte mit Bedacht wählen. «Ich habe nachgedacht, über Ihr Angebot.»
    Ein schwarzer kleiner Hund rannte in einiger Entfernung vorüber. Dass es hier herrenlose Tiere geben könnte, von denen niemand wusste, erschreckte ihn aus irgendeinem Grund zutiefst.
    «Ich habe Angst vor meinem Tod», fuhr er zögernd fort. «Aber ich glaube,

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