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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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ich etwas in sogenannter realer Gestalt
zu erlangen trachten, was ich mir in der Phantasie leicht
vorstellen kann? Wenn ich es mir vorstelle, habe ich es doch
schon.
    Genauso ist es bei mir mit den Rätseln. Wenn ich mir ein
Geheimnis vorstelle, existiert es für mich, und ich sah
einen Zusammenhang zwischen dem Gevatter Tod und den vier Nonnen.
Für mich stand fest, daß die Nonnen an einem Tag
gestorben waren und daß ihr Tod nicht auf natürlichen
Umständen beruhte. Verstehen Sie mich nicht falsch: Damit
meine ich keinesfalls übernatürliche, sondern lediglich
unnormale Ursachen. Ich halte nichts von Esoterikern, Spiritisten
und ähnlichen Zeitgenossen, und ich habe kein
Verständnis für jene, die die Existenz des Spukhaften
in unserer Welt nachgewiesen haben wollen. Jedoch: Dies war meine
damalige Meinung, und eigentlich vertrete ich sie bis heute. Aber
was mir im Zug meiner – wenn ich so sagen darf –
Ermittlungen widerfahren ist, hat mich so verunsichert, daß
Sie nun in den sauren Apfel beißen und mir zuhören
müssen. Wenn ich Sie langweile, sagen Sie es mir bitte. Ich
höre dann sofort auf.«
    Er sah mich mit einem flehenden Hundeblick an, und obwohl ich
trotz meiner anfänglichen Neugier nicht behaupten kann,
bisher seiner verworrenen Geschichte ein besonderes Interesse
abgewonnen zu haben, brachte ich es nicht über mich, ihm die
Wahrheit zu sagen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, daß
er nur jemanden zum Reden brauchte, und in gewisser Weise waren
wir an jenem Abend Leidensgenossen. Auch mich drängte es
nicht, in meine Wohnung zurückzukehren und die Wände
anzustarren. Also harrte ich aus und ermunterte ihn, in seinem
Bericht fortzufahren.
    Er bestellte ein weiteres Bier, nippte nur kurz am Schaum, wie
um sich zu vergewissern, daß er noch eine körperliche
Realität besaß, und fuhr endlich fort:
    »Sie sind sehr freundlich, vielen Dank. Nun, ich hatte
mich also entschieden, nach Aachen zu fahren, und schon früh
am Samstagmorgen begab ich mich zum Kölner Hauptbahnhof. Ich
nahm einen Eilzug, der es gar nicht eilig hatte, doch endlich,
nach etwas mehr als einer Stunde, hatte ich mein Ziel erreicht.
Ich suchte auf einem Stadtplan vor dem Bahnhof den Lindenplatz
und ging zu Fuß dorthin. Ich hatte mir den Weg
eingeprägt und bald wieder vergessen, so mußte ich
einen Passanten fragen, der mich verwundert anschaute, als er mir
Auskunft gab. Ich war versucht zu fragen, was so seltsam an dem
Franziskuskloster sei, doch ich beherrschte mich und ging, wie
mir gesagt worden war, bis zur nächsten Kreuzung, dann nach
rechts, dann nach links, und schon stand ich auf dem Platz, der
seinen Namen nicht zu Unrecht trägt.
    In zwei strengen Reihen wuchsen etliche alte und junge Linden,
unter denen ein verwaister Sandkasten lag. Einige unbesetzte
Bänke standen unter den Bäumen, und an der linken Seite
des Platzes, der lediglich die Verbreiterung einer Straße
darstellte, die aber in seinem Bereich für den Verkehr
gesperrt war, lag ein langgestrecktes Gebäude aus rotem
Backstein, das mit einigen neuen Anbauten bis weit in die
rechtwinklig abzweigenden Straßen hineinragte, so daß
es beinahe einen gesamten Block einnahm. Über das
Gebäude ragte das Langschiff einer großen Kirche
hinaus, die sich im Hof des Komplexes erhob. Zum Lindenplatz hin
gab es nur eine kleine, offenstehende Tür, und daneben
konnte ich ein messingfarbenes, blankgeputztes Schild sehen: Altenheim. Offensichtlich hatte ich mein Ziel
erreicht.
    Ich war überrascht, daß es sich nicht lediglich um
ein Kloster handelte, erinnerte mich aber, daß die
Altenpflege eines der Betätigungsfelder des Ordens war. Ich
war unschlüssig, wie ich nun vorgehen sollte, setzte mich
auf eine der Bänke und sah in alle Richtungen.
Gegenüber der unscheinbaren Pforte gab es eine Kneipe mit
dem Namen EINSTEIN, viele Tische und Stühle standen auf dem
Platz, sie waren zusammengestellt. Von einigen kleinen
Geschäften an dieser Seite fiel vor allem eine Videothek
auf, die den neuesten Streifen nach Stephen King anpries.
Gleichsam als Gegengewicht dazu wachte am Eingang des Platzes
eine Kreuzigungsgruppe aus glasiertem und bemaltem Ton, die von
einem häßlichen, verglasten Betonklotz vor der
Witterung und vor Übergriffen geschützt war.
    Von meiner Bank aus konnte ich schräg zu der Pforte
hinübersehen und bemerkte eine Rezeption, hinter der eine
etwa fünfzigjährige Frau mit kurzem,

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