Nonnen
andere machen die
Straßen als Würger unsicher, und ich bilde mir eben
gern Rätsel ein und löse sie. Dabei ist die
endgültige Lösung nicht so wichtig wie die Jagd darauf.
Und um ehrlich zu sein – das Ergebnis ist zumeist
enttäuschend. Hier aber war es anders.«
Nun war das Rätsel formuliert; die Jagd konnte beginnen.
Benno freute sich darauf. Genauso war es gewesen – oder in
etwa so: Er war an dem Grab der Schwestern vorbeigekommen, und
die Daten hatten ihn gewundert. Sie waren ihm nicht mehr aus dem
Kopf gegangen. Diese Verquickung von Realität und Literatur
liebte er. Wenn der Leser wollte, konnte er die Geschichte an den
realen Schauplätzen nachvollziehen. »Welcher
Leser?« fragte er sich, und seine Stimme schwamm im Raum.
Er wurde sich erst spät bewußt, daß er laut
gesprochen hatte. Begann er nun, Selbstgespräche zu
führen? Oder führte er sie schon seit längerem?
Manchmal war ihm, als stünde er neben sich und könne
nur wenig wahrnehmen. Das Leben war verwirrend, wenn man sich
ausschließlich auf sich selbst beziehen konnte.
Warum weigerte er sich eigentlich so hartnäckig, nach
einer Veröffentlichungsmöglichkeit zu suchen? Er hatte
bereits zwölf Novellen und vier Kurzgeschichten geschrieben.
Stoff genug für mindestens drei Bände. Was er schrieb,
war meistens lang, so hatte er mehr davon. Es machte ihm zuviel
Mühe, sich eine Idee auszudenken, die er schon nach wenigen
Wochen oder gar einigen Tagen ausgezogen hatte. Die kurzen
Erzählungen waren Fehlgriffe gewesen, doch er hatte sie
aufbewahrt, vielleicht ließe sich aus ihnen noch etwas
machen. Benno träumte davon, einmal einen Roman zu
schreiben, aber er scheute vor der ungeheuren Mühe
zurück. Bei seinem Arbeitstempo würde es viele Jahre
dauern, und in einer so langen Zeit konnte eine Idee schal
werden.
Nein, einen Verlag wollte er nicht suchen, denn dies
hieße, sich beurteilen zu lassen und sein Innerstes
preiszugeben.
Alter Narr! schalt er sich. Was steckt schon von dir
selbst in diesen Ideen und ihren Ausarbeitungen? Ich will mich
nicht zwingen lassen, die Geschichten zu überarbeiten und
mich erneut mit ihnen auseinanderzusetzen, und das
müßte ich dann tun. Sie sind tot, wenn sie geschrieben
sind, und ich kann die Empfindungen nicht
zurückholen.
Sie waren nur für ihn – für niemanden
sonst!
Wer waren die ›armen Schwestern vom hl.
Franziskus‹? Er wußte es noch nicht, denn es war
für die Handlung bisher nicht von Wichtigkeit gewesen. Nun
aber mußte er sich um die Realität kümmern. Er
suchte nach seinem Lexikon für Theologie und Kirche, das ihm ein unentbehrliches Nachschlagewerk geworden war, denn
viele seiner Geschichten hatten im weitesten Sinne mit der
Religion zu tun. Eigentlich war es seltsam, denn er ging nicht
mehr zur Kirche, wollte mit den Brüdern und Schwestern
nichts gemeinsam haben. Benno fand die Informationen, die er
gesucht hatte, und stellte fest, daß das Mutterhaus der
armen Schwestern in Aachen stand. Ob ich zwecks Recherche am
Wochenende dorthin fahren sollte? fragte er sich. Es würde
alles lebendiger machen und mich gleichzeitig mit einer besseren
Erinnerung ausstatten. Ich könnte die Handlung deutlicher
nachvollziehen. Ja, ich sollte sie an keinen unbestimmten Ort
legen.
Und so geschah es. Früh am Samstagmorgen, nachdem er im
Bahnhofspostamt die Adresse des Klosters nachgeschlagen hatte,
machte er sich auf den Weg, nahm den Zug, wie es sein Held auch
getan hätte, machte sich Notizen über Mitreisende, die
ihn seltsam anschauten, als er sie fixierte, und er wollte ihnen
schon sagen, sie sollten sich nicht so anstellen, sondern froh
sein, daß er sie überhaupt bemerkte. Sie waren so
durchschnittlich, daß er sie wahrscheinlich nicht einmal
benutzen konnte.
Auf dem Bahnhofsvorplatz in Aachen stand ein großer
Stadtplan. Benno versuchte, sich den Weg einzuprägen, doch
als er nur wenige Straßen weit gekommen war, mußte er
bereits fragen. So kam er wieder ein Stückchen weiter,
mußte dann erneut fragen. Und wieder fragen. Endlich hatte
er sein Ziel erreicht: das Franziskuskloster. Er notierte sich
die Umgebung sehr genau, linste einmal durch die Pforte, nahm mit
Erstaunen wahr, daß es sich um ein Altersheim handelte, und
überlegte für einen Augenblick, ob er hineingehen und
sich als Schriftsteller zu erkennen geben sollte. »Aber ich
bin doch gar kein Schriftsteller. Schriftsteller schreiben
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