zerschundener Körper begraben ist und die Eltern jeden Tag das Grab besuchen. Ich konnte mir nicht annähernd vorstellen, wie es für sie sein musste, um das einzige Kind zu trauern. Doch ich hoffte inständig, dass die Nachricht, wie Yasmine ums Leben gekommen war, letzten Endes besser für sie war als die Ungewissheit.
Es waren drei Monate vergangen, seit Siegfried Anders und Stadtrat John van der Brelie, der natürlich kein Stadtrat mehr war, verhaftet worden waren. Oberbürgermeister würde er ganz gewiss nicht mehr werden, weder in Vallau noch anderswo. Die Klatschblätter verbreiteten, dass Frau van der Brelie mit dem kürzlich geborenen Kind auf den Familiensitz der von Hochbergs zurückgekehrt sei. Dass sie die Scheidung bereits eingereicht hatte, wurde hingegen nicht bestätigt.
Der Prozess gegen die beiden Männer stand noch aus.
Es war ein schöner Juliabend. Den ganzen Tag über hatte keine einzige Wolke am Himmel gestanden. Die Hitze war inzwischen einer samtigen Wärme gewichen und die Luft war voll von tausend sommerlichen Düften.
Für mich war es ein besonderes Datum. Genau vor einem Jahr war Yasmine gestorben.
Ich stand fertig angezogen vor der geöffneten Balkontür, als das Klingeln meine Gedanken unterbrach. Ich drückte die Zigarette in die Erde der mittlerweile endgültig verendeten Pflanze und stellte den Topf auf die Terrasse. Dann schloss ich die Tür und durchquerte die Wohnung. Es sah im Loft unverändert so aus, als würde gerade jemand ein– oder ausziehen, was ziemlich genau meinen Gemütszustand widerspiegelte. Ich wusste noch immer nicht, ob ich bleiben oder gehen würde. Dies wusste ich bisher ebenso wenig zu beantworten wie die Frage, wo meine Gabe mich hinführen würde. Es fühlte sich im Moment nicht an, als läge es in meiner Hand, das zu entscheiden. Aber das war in Ordnung so.
Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage, obwohl ich wusste, wer vor dem Haus auf mich wartete.
„Schön, dass du da bist. Ich bin in einer Minute unten!“
ENDE
Über das Buch
Diese Geschichte und alle Personen sind ebenso frei erfunden wie die benachbarten Städte Vallau und Erzfeld. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen oder mit realen Institutionen wäre rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.
Über die Autorin
Kerstin Michelsen, Jahrgang 1963, wuchs in Hamburg und in der Lüneburger Heide auf. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in einem kleinen Dorf südlich von Hamburg.
Bereits veröffentlicht:
einfach so (Roman, Oktober 2012)
Sushi oder Labskaus (Roman, Dezember 2012)
Hermines Tür (Roman, Januar 2013)
Mia & Serafina (Kinderbuch, Januar 2013)
Homepage: http://kerstin-michelsen.jimdo.com
Impressum
© Kerstin Michelsen 2013
Erstveröffentlichung April 2013
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.
Verfasser: Kerstin Michelsen, 21376 Gödenstorf
Kontakt:
[email protected] Gesamtgestaltung: Kerstin Michelsen
Coverbild: © Kerstin Michelsen