Nora Morgenroth: Die Gabe
für mich unverständliche Befehle eingaben. Zuletzt lud sie die Fotos noch auf einen Datenstick, den sie mir in die Hand drückte. Dann verschwand Franka in ihrem neuerdings blitzeblanken Badezimmer. Wenig später kam sie ausgehfertig wieder heraus, in einem schwarzen Tüllrock, der sie wie eine Ballerina in Trauer aussehen ließ. Dazu trug sie eine rosafarbene Corsage und schwarze Netzstrümpfe. In meinen Jeans kam ich mir entsetzlich langweilig, alt und spießig vor. So mutig war ich niemals auch nur annähernd gewesen.
Wir zogen einige Straßen weiter zu einem Copyshop und ließen die Fotos ausdrucken, so dass wir nun über eine eigene kleine Akte verfügten. Sie war nicht vollständig und nicht alles war gut lesbar, aber das Wichtigste war vorhanden. Frankas Plan war ebenso einfach wie genial und ich schämte mich beinahe, dass ich nicht von allein darauf gekommen war. Doch ohne Jessie konnten wir das Vorhaben nicht umsetzen. Franka hatte ihre Freundin bereits für den Abend zu sich bestellt.
„Ich hab ihr nicht alles gesagt, weißt du, ist besser so. Das mit deiner Yasmine und der ganze Scheiß. Jessie kann die Klappe nicht halten, vor allem , wenn sie besoffen ist. Aber sie wird es machen.“
Auf dem Rückweg ging ich in den türkischen Gemischtwarenladen an der Ecke und kaufte Fladenbrot, Käse, Oliven, Tomaten und zwei Flaschen Wein. Als wir wieder in der Souterrainwohnung waren, telefonierte ich kurz mit Sybille und Hedda. Ich erklärte, dass ich über das Wochenende nicht zuhause war, für den Fall, dass sie versuchten, mich zu erreichen. Wenn meine Schwester nicht Bescheid wusste, stand sie womöglich unangemeldet vor der Tür und rief die Polizei, wenn ich nicht aufmachte. Inzwischen traute ich ihr alles zu. Mit Bille war ich eigentlich für Sonntag verabredet gewesen, sie wollte mich besuchen. Nun log ich meine Freundin zum ersten Mal an. Es ging nicht anders. Ich musste das hier erst zu Ende bringen. Also behauptete ich, von der Chefin überraschend für die Inventur am Wochenende eingeteilt worden zu sein, was nur halb gelogen war. Tatsächlich sollte unser Sondereinsatz im Buchladen allerdings erst am kommenden Wochenende stattfinden. Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Früher oder später würde ich Sybille - vermutlich - alles erzählen. Jetzt aber war meine Angst zu groß, dass ausgerechnet sie mir nicht glauben könnte, dass sie den Kopf schütteln könnte und sich fragen würde, was aus mir geworden war: Eine durchgeknallte Esoterik-Tante vielleicht, die demnächst noch Karten legte und die Zukunft auspendelte. Über genau diese Dinge hatten wir uns doch immer lustig gemacht, hatten uns etwas darauf eingebildet, dass wir mit beiden Beinen so fest im Leben standen und den ganzen Unfug nicht brauchten.
Das Problem war nur: Ich stand jetzt nicht mehr fest. Ich war mit Yasmine immer und immer wieder die fünf Stockwerke hinab gestürzt und das konnte ich niemals wieder vergessen. Möglicherweise würde dieses Wissen in Zukunft zwischen uns stehen. Ich hoffte, dass es nicht so sein würde, doch ich war noch nicht bereit, mich dieser Frage zu stellen. So lange Sybille nichts wusste, konnte sie mich nicht für verrückt erklären. Vielleicht war das feige, aber ich konnte ja nicht einmal mit Gewissheit sagen, wie ich im umgekehrten Fall reagiert hätte. Also ließ ich erst einmal alles, wie es war und redete mich heraus.
Am Abend kam dann Jessie. Franka und ich hatten den kleinen Tisch gedeckt . Wir quetschten uns zu dritt nebeneinander und aßen. Wir redeten über alles Mögliche und erst als wir fertig waren, rückte Franka mit ihrem Plan heraus. Jessie hörte zu. Erst als Franka geendet hatte, kippte sie den Rest Rotwein aus ihrem Glas herunter und sagte: „Klar, mach ich. Montag kann ich euch sagen, wann der alte Sack wieder dran ist. Müsste bald sein, der war schon ne Weile nicht mehr da.“
Sie fragte nicht, warum und wofür wir das brauchten, um was wir sie baten. Aber sie würde es tun. Später schlug ich das Angebot der beiden aus, mit ihnen zusammen auszugehen. Ich wünschte ihnen viel Spaß und rollte mich, angenehm benebelt vom Rotwein, auf Frankas Sofa zusammen. Dort sah ich fern, bis ich einschlief.
Ich wachte auf, als die Nachrichtensprecherin sagte: „… übernimmt der Vallauer Stadtrat van der Brelie nun auch den Parteivorsitz auf Landesebene, nachdem sein Vorgänger in der vergangenen Nacht überraschend zurückgetreten ist. Beobachter aus der Vallauer
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